
Weiter geht´s – Chemo 14
Nach fast drei Wochen unfallbedingter Pause geht es mit der Chemotherapie weiter. Es ist Donnerstag, Chemotag und heute gehe ich in den vierzehnten Chemozyklus, nur noch zwei und dann habe ich es durchgestanden. Ein wenig Bammel habe ich schon, da mein Fußknöchel noch verheilen muss und gleichzeitig ein Zytostatikum durch meinen Körper fließt, das die Krebszellen am Wachstum hindern soll. Obendrauf kommt noch eine Infusion für die Osteoporose. Das tut alles nicht weh, aber im Kopf gibt es doch einige Fragezeichen. Aber die Mediziner werden wissen, was sie tun und ich vertraue ihnen.
Da in Hessen noch Osterferien sind, ist die Fahrt zur Klinik sehr entspannt, was das Verkehrsaufkommen betrifft. Wir sind überpünktlich, aber die anderen Damen waren noch pünktlicher, denn es sind schon alle Chemoplätze belegt. Mir wurde von meinen beiden Bekanntschaften aber netterweise schon ein Liegestuhl reserviert und die Freude ist groß, als wir uns nach drei Wochen wiedersehen. Es gibt viel zu erzählen und die Zeit verfliegt recht schnell. Carsten hält sich im Wartebereich der Klinik auf, dort gibt’s kostenlose Getränke inklusive Kaffee. Später erzählt er mir, dass er sich vom Bäcker nebenan noch ein Stück Kuchen dazu organisiert hat. Also war er ebenfalls gut versorgt und konnte dort am Laptop arbeiten. Da die Schwesternschaft in der onkologischen Ambulanz unterbesetzt war, habe ich mit Carsten verabredet, ihn für den Toilettengang während der Chemo zu rufen. Mit Infusionsständer und Rollstuhl ist es mir dann doch nicht möglich, diesen Weg allein zu tätigen. Liebevoll habe ich ihm den Kosenamen Toilettenboy gegeben. Wobei er im Moment einfach alles für mich ist und ich ihm sehr dankbar dafür bin. Wenn das alles einmal durchgestanden ist, werde ich ihn überraschen – womit? Das wird nicht verraten.
Am Ende der Chemo habe ich versucht, Carsten per Telefon zu erreichen. Zunächst per WhatsApp, denn das Internet funktioniert. Es kam keine Antwort und auch keine Lesebestätigung. Ich versuchte ihn anzurufen, aber im Klinikgebäude ist kaum Handyempfang. Ich wartete noch einige Minuten, aber es tat sich nichts. Er konnte ja nicht verschwunden sein, oder doch? Zuerst dachte ich, er telefoniert und geht deshalb nicht ran und liest meine Nachricht nicht. Als es mir aber zu lange dauerte, machte ich mich ganz langsam, denn schnell geht im Moment nicht, mit meinem Rolli auf die Suche nach ihm. Das ist ziemlich anstrengend, denn der Rolli hat kleine Räder, die ich nicht mit den Händen bedienen kann und so schob ich mich mit einem Bein langsam den Klinikflur entlang. Angekommen im Wartebereich erblickte ich ihn mit dem Rücken zu mir und sich mit einem älteren Ehepaar unterhaltend. Da war mir klar, warum ich ihn nicht erreichen konnte. Ich gesellte mich dazu, ganz nette Leute, mit denen wir noch eine Weile plauderten. Der Mann wartete auf seine Operation, ein dauerhafter Blasenausgang sollte gelegt werden. Die Geschichte dahinter schockierte mich aber noch mehr, denn er hatte ebenfalls seit ein paar Jahren eine Polyneuropathie und sitzt dadurch im Rollstuhl. Er ist ab der Hüfte bis zu den Füßen fast gelähmt und auch seine Finger kann er nicht mehr ausstrecken, sodass sie immer eingekrampft sind. Er ist ständig auf Hilfe angewiesen. Ich habe schon von solchen Extremfällen gelesen, aber noch nie jemanden getroffen, der dadurch in den Rollstuhl verbannt wurde. Ich habe dieselbe Krankheit und bin noch gute zwanzig Jahre jünger als er. Auch bei ihm wurde keine Ursache dafür gefunden und eine Behandlung dieser Krankheit gibt es nicht. Meine Neurologin rät mir zu viel Bewegung, um es aufzuhalten. Nachdem ich diesen Mann gesehen habe, werde ich alles dafür tun, zu verhindern, dass es mir genauso gehen wird.
Zu Hause angekommen, begab ich mich wieder auf mein geliebtes Sofa und verbrachte einen entspannten Nachmittag. Die darauffolgende Nacht war allerdings alles andere als entspannt. Ich hatte extremes Sodbrennen und meine Heilerde half überhaupt nicht. So verbrachte ich die meiste Zeit sitzend und fast nicht schlafend im Bett, da hier weniger Magensäure nach oben kam. Um kurz vor sechs Uhr grummelte es mir auch noch im Darm – Durchfall. Na prima, dass die Nacht nach der Chemo immer unruhig ist weiß ich mittlerweile, aber so schlimm war es noch nie. Vielleicht kommt das aber auch vom Essen. Carsten war ebenfalls aufgewacht und begleitete mich dann nach unten zum Sofa. Er ging noch einmal ins Bett und ich versuchte ebenfalls noch einmal die Augen zu schließen. Es ging nicht, das Sodbrennen hielt mich auch hier weiterhin wach. Ich stand also auf, holte meinen Rolli und fuhr in die Küche, um einen Kuchen zu backen. Ich hatte Zeit und ganz entspannt brachte ich den Bisquitboden in den Ofen. Da war ich schon ein wenig stolz auf mich, denn seit drei Wochen habe ich nichts dergleichen mehr getan. Als der Boden fertig war, kam auch Carsten herunter und hat nicht schlecht gestaunt. Teil eins des Kuchens war fertig und den Rest erledigte ich nach dem Frühstück. Ich kochte einen Pudding, Carsten schnibbelte die Erdbeeren und am Ende kam noch der Tortenguss obendrauf. Mit geschwollener Brust und voller Stolz blickte ich auf mein Tagwerk – ich bin fast wieder zurück in meiner alten Form. Ein paar Wochen wird es noch dauern bis ich wieder auf zwei Beinen stehen kann, aber der Rollstuhl ist mir eine sehr große Hilfe bei meiner Bewegungsfreiheit.
Im Laufe des Tages setzen ebenfalls die von meiner Ärztin angesprochenen Muskel- und Knochenschmerzen ein, die aufgrund der Osteoporoseinfusion auftreten können. Ziemlich heftig und kräftezehrend. Das wird für mich kein langer Abend werden. Ich bin total übermüdet und mein ganzer Körper tut weh. Morgen am Karsamstag kommen die Kinder zum Brunch und da möchte ich gerne fit und ausgeschlafen sein.