Allgemein

Perspektivwechsel

In den letzten Tagen geht es mir immer besser – die Schmerzen im Bein haben deutlich nachgelassen und ich brauche keine Schmerztabletten mehr. Es zwickt und zwackt immer mal wieder, ist aber alles auszuhalten. Die Krücken werden nicht meine besten Freunde werden, dennoch komme ich mittlerweile ganz gut damit zurecht. Am Samstag habe ich die meiste Zeit des Tages auf der Terrasse an der frischen Luft verbracht, während Carsten sich unter meiner Anleitung der ersten Sommerbepflanzung gewidmet hat. Und am Montag war mein erster Wundkontrolltermin beim Orthopäden in Bad Camberg. Die Praxis und den Arzt kannten wir noch nicht, aber wir sind sehr angetan von beidem. Dr. Engelhardt ist sehr kompetent und einfühlsam und hat alle meine Fragen zur weiteren Heilung, Behandlung und zur Mobilisation beantwortet. Ich darf den AirCast, den „Stiefel“, zu Hause abnehmen, wenn ich auf dem Sofa liege und erste Fußbewegungen machen. Die beiden Nähte am Knöchel sehen super aus und verheilen richtig gut. Ebenso macht der Orthopäde mir noch ein Kompliment für meinen offensiven Umgang mit meiner Krebserkrankung. Das ist alles sehr zuträglich für mein allgemeines Kopfkino, denn am Ende des sehr langen Tunnels ist ein kleines Licht zu sehen.

Eine weitere Erleichterung in meiner jetzigen Situation bringt mir ein Rollstuhl, den wir günstig erstanden haben. Dadurch bekomme ich ein kleines Stück Freiheit zurück – ich kann mich im Haus bewegen und mir selbst aus dem Kühlschrank einen Joghurt holen, da ich beide Hände für den Transport freihabe. Und auch zum Einkaufen kann ich wieder mitfahren, da ich nicht mit Krücken durch den Supermarkt stöckeln muss. Ein gutes Gefühl. Bei einer ersten Spazierfahrt mit unserer mittleren Tochter ist mir aber ein wichtiges Detail bewusst geworden. Ich komme mir im Rollstuhl klein und gebrechlich vor. Die Gespräche finden wortwörtlich hinter meinem Rücken statt und ich bin nicht auf Augenhöhe mit den anderen. Das grenzt einen irgendwie aus, um so erfreulicher, dass ich das in ein paar Wochen hinter mir haben werde. Aber mir wird bewusst, wie sich Rollstuhlfahrer, die auf ewig darauf angewiesen sind, fühlen müssen. Der unfreiwillige Perspektivwechsel bringt mich zum Nachdenken.

Beim Großeinkauf im REWE für die Osterfeiertage machen wir den ersten Einkaufstest. Carsten schiebt den Rolli und ich schiebe den Einkaufswagen. Sicher ganz lustig von der Ferne anzuschauen, aber für uns beide eine echte Herausforderung. Als Gefährt mit Überlänge ist es gar nicht so einfach, sich durch die Regale zu bewegen. Die Menschen sind aber alle sehr rücksichtsvoll, sobald sie uns wahrgenommen haben. Aber auch hier fällt mir auf, dass ich mich außerhalb der Augenhöhe befinde. Praktisch ist natürlich nun, dass ich an die Bück-dich-Ware besser herankomme, da ich dem Boden im Moment näher bin als dem Himmel. Der Einkauf ist sicher etwas herausfordernder, aber ich komme zu Hause raus und habe ein Gefühl von Normalität.

Heute ist Mittwoch – Tag der wöchentlichen Blutkontrolle in der onkologischen Ambulanz in der Klinik. Bis zum Nachmittag hatte ich keinen Anruf und somit sind meine Blutwerte so weit in Ordnung, dass der Chemo morgen nichts im Wege steht. Danach waren wir noch mit den Schwiegereltern unserer ältesten Tochter zum Frühstück verabredet. Ein sehr netter und lockerer Vormittag mit lieben Menschen und für mich eine schöne Abwechslung nach den letzten zweieinhalb Wochen, die ich neben diversen Arztbesuchen und Klinikaufenthalten überwiegend auf dem Sofa verbracht habe.