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Paul

Es ist Donnerstag, der 31. Juli 2025. Der Tag, an dem ich meinen letzten Besuch im Brustzentrum im Rahmen meiner Akuttherapie haben werde. Seit meiner Erstdiagnose im Oktober letzten Jahres sind 41 Wochen vergangen. Insgesamt 287 lebe ich mit der Diagnose und befinde mich in einer Akuttherapie im Kampf gegen den Krebs, einen hormonrezeptorpositiven Brustkrebs. Die Chemotherapie hat mich direkt in die Wechseljahre katapultiert, obwohl mein Körper laut Hormonstatus noch nicht so weit war. Die damit einhergehenden Hitzewallungen sind eine nervige Nebenwirkung, die mich nun schon eine ganze Weile begleiten. Und auch an die Schlafarmen Nächte habe ich mich irgendwie gewöhnt.

Carsten begleitet mich ins Brustzentrum zum Abschlußgespräch nach meiner Operation in der letzten Woche. Mein Termin ist um 9.15 Uhr und somit der ganz normale Wahnsinn in der onkologischen Ambulanz. Alle Chemoliegen sind belegt, aber ich kenne keine der Patientinnen. Meine letzte Chemo liegt einfach auch schon drei Monate zurück. Die Zeit ist dann doch sehr schnell vergangen. Im Wartebereich unterhalten wir beide uns noch, dass wir heute zum letzten Mal hier sein werden. Zum letzten Mal bei der sehr netten Ärztin, die mich ganz wunderbar betreut hat. Danach begebe ich mich in die Nachsorge bei meiner Frauenärztin, die mich durch die 5 Jahre Antihormontherapie begleiten wird. Mit keiner Silbe habe ich an dem Morgen, in dem Moment, an einen anderen möglichen Verlauf des Tages gedacht.

Die Ärztin nimmt sich wie immer sehr viel Zeit für mich. Die Pflaster werden von den Narben entfernt, die sehr gut verheilen und auch sehr gut aussehen. In der Brust gibt es noch eine kleine Ansammlung von Flüssigkeit, die ich ertasten kann. Dies wird unter Ultraschall begutachtet, ist aber nicht bedenklich und der Körper wird das von selbst abbauen. Die gute Nachricht ist, dass ich ab sofort auch den Kompressions-BH weglassen kann. Endlich wieder ohne dieses „Korsett“, welches man Tag und Nacht tragen muss. Andere Mitpatienten fanden es angenehm, ich eher unangenehm, da auch der Träger auf der Narbe des Lymphknotens reibt. Und nachts mit BH schlafen ist ebenfalls nicht unbedingt meine große Liebe.

Der Zweite, etwas unangenehme Teil dieses Arztbesuches folgt nun. Es geht um den Befund aus der Pathologie und somit die weitere Behandlung. Im entnommenen Gewebe wurde am Clip, der zur Markierung diente, ein 3mm großer Resttumor gefunden. Da stand es nun schwarz auf weiss auf dem Befundbericht – Paul war noch da und ich blickte ihm direkt in die „Augen“. Das war so nicht geplant. Die Ärztin erklärte, dass dieser Resttumor ja nun entfernt wurde. Aber ich selbst frage mich, ob da nicht doch noch etwas in der Brust ist. Zumindest der Lymphknoten war pathologisch unauffällig und somit keine Tumorzellen irgendwo in meinem Körper unterwegs. Mit diesem Befund wurde schlagartig meine Hoffnung auf krebsfrei und als geheilt entlassen zu werden, zunichtegemacht. Mir ging alles durch den Kopf, was jetzt folgen könnte. Eine neue Operation? Eine erneute Chemotherapie? In ihrer gewohnt ruhigen Art klärt mich die Ärztin über den jetzt möglichen Weg auf.

Sie selbst geht nicht davon aus, dass noch Krebszellen vorhanden sind, kann es aber nicht ausschließen. Die Tumorkonferenz empfiehlt in diesem Fall eine 3-jährige Behandlung mit einem zielgerichteten Medikament (Kisqali), das das Wachstum der Tumorzellen unterbinden soll und ein Rezidiv verhindert wird. Man nennt es nicht direkt Chemotherapie, aber es ist eine Art Tablettenchemo. Parallel dazu wird es noch die Antihormontherapie in Tablettenform über 5 Jahre geben. Beide Medikamente haben ihre ganz eigenen Nebenwirkungen. Die reichen von Haarausfall über Verschlechterung der Leberwerte bis hin zu Fatigue und Osteoporose. Wie immer bei den Nebenwirkungen – alles kann, nichts muss. Aber die Blutwerte und ganz speziell die Leberwerte müssen sehr engmaschig überwacht werden sowie auch die Herztätigkeit mittels EKG. Das alles bedeutet, dass ich auch die nächsten drei Jahre noch im Brustzentrum in Behandlung sein werde, da die Frauenärzte keine Onkologen sind und sich nicht mit diesen Medikamenten auskennen. Ich muss zu Beginn der Therapie wöchentlich zur Blutkontrolle in die Klinik und in regelmäßigen Abständen muss ein EKG erfolgen. Ich bekomme zahlreiche Aufklärungsbögen, Infozettel und Befunde ausgehändigt, die ich über das Wochenende in Ruhe studieren kann. Heute wird mir noch Blut abgenommen, um meinen Hormonstatus zu bestimmen für die Antihormontherapie. Am kommenden Montag habe ich erneut einen Termin bei der Ärztin und dann wird der Therapieplan im Detail besprochen.

Für Kisqali gibt es ebenfalls wieder eine klinische Studie. Die Ärztin spricht mich auf die mögliche Teilnahme an und ich stimme zu. Das Medikament ist nicht neu auf dem Markt, aber neu in der Behandlung von frühem hormonrezeptorpositiven Brustkrebs. Bisher wurde es nur für Patienten mit metastasiertem Brustkrebs eingesetzt. Seit November 2024 ist es nun auch für Patienten ohne Metastasen zugelassen und soll in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkungen untersucht werden. Ich unterstütze solche Studien gern. Zum Abschluss meines heutigen Termins, dessen Verlauf ich mir ganz anders vorgestellt hatte, soll noch ein EKG geschrieben werden. Mir geht schon durch den Kopf, dass ich wieder durch die unendlichen Gänge dieser Klinik wandeln werde, um auf ein EKG zu warten und mein gesamter Zeitplan von heute komplett über den Haufen geworfen wird. Noch als ich im Arztzimmer bin, taucht eine Schwester mit einem mobilen EKG-Gerät auf, verkabelt mich und ist nach nicht einmal zehn Minuten wieder verschwunden.

Nach knapp zwei Stunden verlassen wir das Klinikgelände. So langsam sackt der Befund und das besprochene weitere Vorgehen rein. Ich werde wieder für einige Zeit fremdbestimmt sein und häufige Termine hier haben. Ich habe doch gerade erst meinen Kalender wieder selbst befüllt. Mein Wunschergebnis für heute wäre der Befund pathologische Komplettremission gewesen. Ist es nun leider nicht geworden. Aber auch das werde ich durchstehen. Ich bleibe weiterhin positiv und schaue nach vorn. Und Paul und sein Gefolge werde ich in die Flucht schlagen.