
Wieder zu Hause
Diesmal verlief alles wie geplant – wir waren Montag pünktlich um sieben Uhr in der Klinik. Kein Anruf, keine Absage. Wir mussten noch einige Zeit in der Lobby warten, bis mich eine nette Dame zum OP-Vorbereitungsbereich führte. OK, ich dachte, ich komme zuerst auf mein Zimmer, Carsten kann mir beim Ausräumen meiner Tasche behilflich sein und dann werde ich zum OP gebracht. Hier in der BGU läuft es offensichtlich anders. Ich bekomme mein Namensarmband und all meine mitgebrachten Utensilien, wie Krücken, Kliniktasche und mein AirCast werden per Aufkleber ebenfalls mit meinen Daten versehen. Dann nehme ich in einem Wartebereich mit acht anderen Patienten, die auf ihre OP warten, Platz. Neben mir auf der Bank sitzt ein Mann oder besser liegt ein Mann mit seinem Kopf auf dem Tisch, der vor ihm steht und schnarcht vor sich hin. Hier sitzen alles Patienten, die ambulant operiert werden und auch solche, die danach stationär aufgenommen werden. Auf einem Fernseher läuft ein Nachrichtensender, der auch mit einer Uhr versehen ist – es ist 7.30 Uhr als ich hier Platz nehme.
Kurz nach acht Uhr wird die erste Patientin aufgerufen. Ich bin an vierter Stelle dran, was aber nichts zu bedeuten hat, denn es gibt insgesamt elf OP-Säle. Ich betrete eine Kabine, in der ich mich entkleiden darf. Meine Wertsachen werden in einer verschlossenen Metallbox verstaut und zu meiner Kliniktasche gestellt. Um 8.40 Uhr liege ich bekleidet mit einem OP-Hemd, einer Haube für den Kopf und zugedeckt auf einer Transportliege, mit der ich in Richtung OP-Schleuse geschoben werde. Umgelagert auf eine OP-Liege und mit einer vorgewärmten Decke versehen, werde ich zu einem der Vorbereitungsräume der Anästhesie gebracht. Ich orientiere mich in dem kleinen Raum und suche eine Uhr. Das ist so ein Tick von mir, dass ich bei allen Narkosen bis zum Einschlafen auf die Uhr schauen muss. Direkt in meinem Sichtfeld und neben dem Eingang finde ich sie.
Eine junge Frau stellt sich mir als Azubine vor und ebenso ist eine Schwester anwesend, die sie anleitet. Aufgrund meiner Vorgeschichte muss gut überlegt werden, an welchem Arm der Zugang für die Narkose platziert werden sollte. Links ist eher ausgeschlossen wegen des Ports und meiner Thrombose und mein rechter Arm war bisher nie zum Blutabnehmen geeignet. Ich bin gespannt. Dann gesellt sich noch ein sehr netter Mann zu uns, dem Anschein nach ein Hauptverantwortlicher und er beschließt mit einem Venensuchgerät, einem Ultraschall, nach einer geeigneten Armvene am rechten Arm zu suchen. So etwas habe ich noch nie erlebt und auch noch nicht gesehen. Er findet eine tieferliegende, sehr gute Vene und legt unter Ultraschall den Zugang. Für mich kaum spürbar und sehr angenehm, denn mir wurde nicht der komplette Arm oder die Hand zerstochen. Ein paar Minuten dauert es noch, da der OP belegt ist. Bis dahin wird ein wenig geplaudert und auch gelacht. Ich entspanne mich langsam, was das angeschlossene Herz- und Blutdruckmonitoring zeigt. Um kurz nach halb zehn wird die Narkose eingeleitet.
Zwölfuhrfünfzehn ist es, als ich die Schwester im Aufwachraum nach der Uhrzeit frage. Im OP-Bericht lese ich später, dass die OP insgesamt neunzig Minuten gedauert hat. Ich döse noch so ein wenig vor mich hin und schlafe meinen Rausch aus, bis ich schließlich zur Station gebracht werde. Eine Schwester ruft 401 und ich werde in ein voll belegtes Vierbettzimmer geschoben. Ganz entrüstet weise ich darauf hin, dass ich extra ein Einzelzimmer gebucht habe. Die Dame vom Patiententransport fragt nochmals bei der Schwester nach und schiebt mich schließlich in ein Zweibettzimmer. Gut, es ist immer noch nicht das, was ich ausdrücklich bei der Anmeldung gebucht habe. Das tue ich an diesem Nachmittag auch noch mehrfach bei der Schwester kund, aber sie meint, es ist kein Einzelzimmer frei. Ich arrangiere mich damit, meine Zimmernachbarin ist eine Tierärztin, der ihr Pferd auf den Fuss gesprungen ist und wir unterhalten uns ganz nett. Mir ist von der Narkose noch etwas übel und ich muss mich übergeben. Zum Glück ist gerade unsere älteste Tochter zu Besuch, die mir behilflich ist meine Tasche auszupacken.
Den restlichen Abend trinke ich nur wenige Schlucke Wasser und vom Abendbrot habe ich mir ein viertel Brot genommen, dass ich langsam kaue, um den Magen an Nahrung zu gewöhnen. Die Schmerzen im Bein sind schon recht heftig, aber die Schmerzmittel helfen ganz gut. Ein Arzt kommt noch zur Nachbesprechung der OP – alles gut gelaufen, eine Platte wurde eingesetzt und Schrauben. Wenn nach dem Verbandswechsel am nächsten Tag alles gut aussieht, darf ich nach Hause gehen. Oha, doch so schnell, ich bin etwas verwundert, da ich mich auf drei bis vier Tage eingestellt habe. Aber gut, zu Hause ist es doch am schönsten und die Genesung geht ebenfalls besser voran.
An diesem Abend gab es dann noch einen Wechsel meiner Zimmernachbarin. Die Tierärztin wollte unbedingt nach Hause zu ihren Kindern und wurde entlassen. Das Bett neben mir stand keine halbe Stunde leer, bis eine ältere Dame im Rollstuhl hereingeschoben wurde. Wir wechselten ein paar Worte, gingen dann aber schnell zur Nachtruhe über. Ich schlief die gesamte Nacht auf dem Rücken und bewegte mich fast gar nicht, denn dann waren die Schmerzen auch minimal. Kurz vor sechs Uhr morgens brachte die Nachtschwester unsere Medikamente, verließ aber schnell wieder das Zimmer. Erst um halb acht kam wieder jemand mit dem Frühstück und kurz darauf die Visite. Zwischenzeitlich hatte ich mich zumindest schon einmal umgezogen, den Gang zum Bad erledigte ich nach der Visite. Es war wie im Taubenschlag. Permanent ging die Tür auf und es kam jemand herein – meine Nachbarin musste zum CT, bei mir wurde ein Verbandswechsel gemacht, der Essenbestellservice für den nächsten Tag kam auch noch vorbei.
Der Stationsarzt kam nochmals zu mir und wir besprachen alles für meine Entlassung. Vorher sollte allerdings noch eine Knochendichtemessung erfolgen. In all dem Trubel versuchte ich Carsten zu telefonisch zu erreichen, um ihn darüber zu informieren. Aber er ging nicht ans Telefon. Na prima. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als unseren Nachbarn anzurufen und zu bitten bei uns zu klingeln. Daraufhin rief mich Carsten an. Er war auf seiner Rudermaschine und hatte das Telefon nicht gehört. Ich erzählte ihm von der Entlassung und dass alles ziemlich schnell geht, weil sie offensichtlich die Betten brauchen. Eine Stunde später war er da, aber es dauerte dann doch noch fast zwei Stunden, bis wir draußen waren. In der Radiologie, wo die Knochendichtemessung gemacht wurde, war Patientenstau. Meine Zimmernachbarin stand schon geschlagene zwei Stunden dort und wartete auf ihre Abholung zur Station. Ebenfalls hier stand ein junger Mann um die dreißig, der einen Arm in Gips hatte und immer wieder anfing zu weinen. Ich war neugierig, wollte aber nicht fragen. Schließlich kamen mehrere Pflegekräfte, die ihm erklärten, dass das Röntgengerät für das Angiogramm defekt ist und die Aufnahmen nicht gemacht werden können. Ganz verzweifelt sprach er nun, dass ihm eine Beinamputation bevorsteht und er hofft, dass alles gut werden würde. Oh Mann, so ein junger Kerl und verliert sein Bein. Das war heftig und ging mir die ganze Zeit nicht mehr aus dem Kopf.
Meine Knochendichtemessung hat ergeben, dass ich abermals eine Osteoporose habe, die wahrscheinlich durch die Chemo verursacht wurde. Ich soll mir einen Osteologen suchen, der mich dahingehend behandelt. Prima, noch ein Arzt mehr auf meiner Liste. Für die OP-Nachsorge brauche ich ebenfalls noch einen Orthopäden und in meinen Entlassungspapieren findet sich noch eine Heilverordnung über Krankengymnastik. Noch auf der Heimfahrt telefoniere ich mit einer uns nahegelegenen Orthopädiepraxis, die mir für kommenden Montag einen Termin zur Nachsorge möglich macht. Zu Hause angekommen, schreibe ich eine Mail an meine behandelnde Ärztin im Brustzentrum, um ihr mitzuteilen, dass alles gut gelaufen ist und wir nochmal über die ausstehenden drei Chemos sprechen können. Sie teilt mir mit, dass morgen wieder das Tumorboard in der Klinik tagt und meinen Fall bespricht. Ebenfalls signalisiert sie mir, dass sie sich um die Behandlung der Osteoporose kümmern werden. Prima, zwei Sachen schonmal von meiner Liste weg. Jetzt muss ich nur noch eine Physiotherapie für meine Krankengymnastik finden.
Kurz vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, suchte mich noch eine Physiotherapeutin auf und fragte mich, ob ich mit den Krücken zurechtkomme. Mittlerweile klappt das Laufen ganz gut, aber Treppen steigen sollte sie mir einmal zeigen. Gesagt, getan. Wir gehen zum Treppenhaus und sie schwingt sich mit meiner Krücke die Treppe hoch unter wieder hinunter. Sieht super einfach aus, bis zu dem Moment als ich dran bin. Puh, da muss man sich ziemlich konzentrieren, da es andere Abläufe als beim Laufen sind. Ich darf das operierte Bein abstellen auf meinem AirCast und bis zu 10kg belasten. Das muss auch erstmal in meinen Kopf rein, dass ich das Bein wieder benutzen darf. Ich bin allgemein sehr ängstlich unterwegs, zum einen wegen meiner Polyneuropathie in den Füßen und jetzt noch eine Osteoporose dazu. Die Krücken sind wackelig und geben mir nur bedingt eine Sicherheit beim Laufen. Alles eine Kopfsache, ich muss irgendwie versuchen meine Ängste abzubauen. Ich denke zu viel darüber nach, was alles passieren könnte und dann bin ich eher gehemmt unterwegs.