
Chemo Nummer Neun
Es ist Donnerstag – Chemotag – 6.20 Uhr aufstehen und um 7.15 Uhr kommt das Taxi, das mich zur Klinik fährt. Chemozyklus 9 von 16 und mir geht´s richtig gut. Ich habe letzte Nacht sehr schlecht und auch wenig geschlafen. Mich haben Hitzewallungen mit anschließendem Frieren wachgehalten. Eigentlich bin ich überhaupt nicht aufgeregt, freue mich sogar darauf, meine neue Bekanntschaft aus der Therapie wiederzutreffen. Mein Biorhythmus ist einfach mächtig durcheinander geraten unter der Chemo, der Körper läuft auf Hochtouren Tag und Nacht.
Trotz morgendlichem Berufsverkehr kommen wir überpünktlich um 8.15 Uhr an der Klinik an. Es sind noch nicht alle Chemoplätze belegt. Ich suche mir einen Fensterplatz neben einer Patientin, die ich vom Sehen zwar kenne, aber wir uns noch nicht näher unterhalten haben. Sie ist jünger als ich und wir kommen schnell ins Gespräch. Es ist ihre letzte Chemo heute. Das muss ein tolles Gefühl sein. Sie hatte ebenfalls 4-mal EC und dann 12 Pacli. Auch ihr ging es unter den Pacli wesentlich besser als mit der EC. Die Chemoschwester verabschiedet sie mit den Worten „Ich wünsche ihnen alles Gute und hoffe wir sehen uns hier nicht wieder.“ Klingt im ersten Moment sehr hart, aber ist absolut lieb gemeint. Denn keiner von uns allen möchte ein Rezidiv haben und eine erneute Chemotherapie durchlaufen müssen.
Das Personal im Brustzentrum ist wirklich toll. Alle sind trotz größtem Stress immer freundlich und nehmen sich für die Patienten Zeit. Ich habe schon sehr lange das Bedürfnis diesen tollen Menschen einfach mal eine Überraschung zu bereiten, etwas Gutes zu tun. Mein Motto ist immer – nicht könnte, sollte, müsste, sondern machen und so habe ich bei unserem Metzger frische Knackwurst und verschiedene Wurstkonserven besorgt. Für die süße Fraktion noch Pflaumenmus und Marmelade sowie frische Erdbeeren, eingelegte Maiskölbchen und Gewürzgurken. Noch etwas Schokolade für die Nerven und eine Karte mit lieben Dankesgrüßen. Das Ganze haben wir dann gestern zur Blutkontrolle mitgenommen und vorher noch frische Brötchen beim Bäcker gekauft. Das Team hat sich sehr darüber gefreut und ich habe mich gefreut anderen eine Überraschung bereiten zu können und einfach mal DANKE zu sagen.
Da ich gestern in der Klinik war, haben wir uns direkt im Anschluss daran mit Freunden zum Frühstück verabredet. Sie wohnen in Bad Homburg und wir haben selbstgebackene Brötchen von Carsten mitgebracht, die er am Dienstag extra frisch gebacken hat. Es tut so gut sich mal wieder verabreden zu können und nicht aufgrund von unkalkulierbaren Nebenwirkungen spontan absagen zu müssen. Wir haben die gemeinsame Zeit bei einem entspannten und leckeren Frühstück sehr genossen – raus aus dem Krebs- und Chemoalltag. Das tut uns beiden sehr gut und müssen wir definitiv wieder öfter machen.
Und im Zuge dessen habe ich direkt heute unseren nächsten großen Ausflug geplant. Wir fahren Anfang Mai zur YES!CON nach Berlin. Deutschlands größte Krebs-Convention für Betroffene, Experten und Influencer. Ich kenne dieses Format schon seit meiner Zeit als Geschäftsführerin bei der Familienhörbuch gGmbH und finde es toll, dass es solche Treffen mit Workshops, Vorträgen und viel Raum zum Netzwerken rund um das Thema Krebs gibt. Carsten wird mich begleiten und ich freue mich sehr darüber. Durch meine Social Media Kontakte bei Instagram habe ich sogar schon erste Verabredungen für diese Veranstaltung, die über zwei Tage geht, getroffen. Einfach mal wieder rauskommen und neue Menschen treffen.
Und noch ene Begebenheit von heute – bei meiner Rückkehr nach Hause hat mich eine Nachbarin aus dem Taxi aussteigen sehen. Ich hatte keine Mütze auf, eine Maske getragen und sie nett gegrüßt. Das Erstaunen war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, denn so hatte sie mich noch nicht gesehen und wir hatten auch noch nicht über meine Krebserkrankung gesprochen. Während der Begegnungen bei unseren Spaziergängen hatte ich bisher immer eine Mütze auf. Das wird sich nun im Frühjahr ändern. Als wir später am Nachmittag noch unsere Frischluftrunde drehten, war sie ebenfalls draußen und sprach mich direkt darauf an. Und da war sie wieder die gemeinsame Verbindung, denn sie erzählte prompt, dass sie vor Jahren ebenfalls Bestrahlung hatte. Welcher Krebs – das muss ich noch herausfinden. Aber so haben wir beide ein gemeinsames Thema und ich mal wieder eine Krebspatientin in meiner direkten Nähe, von der man es vorher nicht wusste. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Krebs mittlerweile eine Volkskrankheit ist. Das ist irgendiwe auch erschreckend, denn es ist nicht mehr die Frage ob man Krebs bekommt, sondern wann und welchen Krebs. Also ganz wichtig – Vorsorgeuntersuchungen, um den Krebs frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Und egal in welchem Alter!