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Was für ein Wochenende

Die Euphorie über die Halbzeit in meiner Chemotherapie wurde leicht getrübt von den Gedanken an das bevorstehende Wochenende, an dem die Beisetzung eines Familienmitglieds in Thüringen stattfinden soll. Es ist Freitag und wir packen unseren Camper, da ich mich kurzfristig dafür entschieden habe, mit dem Wohnmobil zu fahren und nicht im Hotel zu übernachten. Ich weiß nicht, wie es mir die nächsten zwei Tage gehen wird und wie ich diese Reise generell verkrafte. So habe ich zumindest die Möglichkeit, mich jederzeit spontan zurückzuziehen und mich auszuruhen. Seit Oktober 2024 ist das die bisher längste Reise, die ich seit meiner Diagnose und Akuttherapie antrete. Unser Aktivitätsradius begrenzt sich in den letzten Monaten auf einen Umkreis von maximal siebzig Kilometern, nämlich nach Frankfurt am Main und auch von dort aus bin ich im Notfall schnell bei meinen behandelnden Ärzten in Bad Homburg. Es wird also eine Reise mit vielen Erlebnissen und sicher auch Erkenntnissen.

Es ist alles gepackt und verstaut, doch ganz so glatt sollte die Abreise nicht verlaufen. Beim Befüllen des Wassertanks stellte sich heraus, dass wir eine undichte Stelle im Camper haben, an der das gerade eingefüllte Wasser sich munter seinen Weg durch den Innenraum nach draußen bahnte. Finde das Leck! Es ist schnell gefunden – ein Frostschaden, der sich heute auf die Schnelle nicht beheben lässt, da wir ein Ersatzteil benötigen. Wir beschließen trotzdem mit dem Camper zu fahren und packen ausreichend Wasserkanister ein, da wir nun kein fließendes Wasser im Auto haben. Wir starten also mit dem Ziel Apolda und dem Besuch meiner Eltern. Geplant ist ein Zwischenstopp an einem Bratwurststand in Thüringen, diese Etappe von insgesamt 250 km bis dahin sitze ich hinter dem Steuer und es fühlt sich gut an. In den letzten Wochen bin ich aufgrund diverser körperlicher Umstände nur selten selbst Auto gefahren. Die Fahrt verläuft sehr gut, aber ich merke langsam die Anstrengung. Nach dem Verzehr der echten Thüringer gibt es einen Fahrerwechsel.

Je näher wir an meine Heimat kommen, um so mehr mache ich mir Gedanken über die erste Begegnung mit meinen Eltern ohne Haare auf dem Kopf. Wir haben uns seit meiner Diagnose nicht mehr persönlich gesehen. Sie kennen mich zwar von Bildern und FaceTime mit Glatze, aber in live ist das doch noch einmal etwas anderes. Bei fremden Menschen mache ich mir darüber überhaupt keinen Kopf, aber bei Menschen, die mir sehr nah stehen und mit denen wir viel Zeit verbringen, denke ich doch immer wieder darüber nach. Es ist unbegründet, ich weiß, aber ich kann es nicht abstellen. Vielleicht ist das auch eine Art von Verletzlichkeit in dem Moment.

Trotz des traurigen Anlasses für unseren Besuch in Thüringen, gab es dennoch sehr schöne Begegnungen und sogar neue Bekanntschaften. Ich habe die Zeit mit und bei meinen Eltern sehr genossen, es tut so gut zu sehen, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind und auch die Gesundheit so weit mitspielt. Sie genießen gemeinsam ihr Rentendasein und haben ein gutes finanzielles Auskommen. Sie gönnen sich kleine Freuden des Lebens und wirken auf mich sehr ausgeglichen. Das beruhigt mich sehr, denn schließlich wohnen wir 300 km weit voneinander entfernt und sehen uns nicht so häufig.

Die Zeit während unseres Thüringen-Aufenthaltes reichte sogar noch für einen kurzen Kaffeebesuch bei einer Freundin, die ich seit fünfzehn Jahren nicht gesehen habe. Wir waren ehemalige Nachbarn, haben Kinder im gleichen Alter und haben früher viel Zeit miteinander verbracht. Über die Jahre und durch meinen Wegzug haben wir uns eine Zeit lang aus den Augen verloren. Der Kontakt ist nie ganz abgebrochen, denn über unsere Handynummern haben wir uns immer Geburtstagswünsche gesendet. Seit meiner Diagnose ist der Kontakt nun wieder intensiver geworden und wir konnten doch irgendwie an die alten Zeiten anknüpfen. Und auch das spontane Wiedersehen am Wochenende fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Da braucht es erst eine Krebsdiagnose, um liebe Freundschaften aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen.

Eine neue Bekanntschaft konnten wir am Wochenende ebenfalls machen. Auf der Beisetzung und dem anschließenden gemeinsamen Essen sind wir einem Paar begegnet, mit dem wir uns auf Anhieb sehr gut verstanden haben. Die Sympathie war auf beiden Seiten sehr stark und so tauschten wir direkt die Handynummern aus. Solche Begegnungen gibt es nicht sehr oft im Leben, es war irgendwie direkt eine Verbindung vorhanden. Nun wird die Zeit zeigen, was daraus wird.

Am Sonntag traten wir die Heimreise an – die zwei Tage waren anstrengend, aber auch sehr schön. Den Nachmittag haben wir bei strahlendem Sonnenschein und frischen Pfannkuchen aus Erfurt auf unserer Terrasse entspannt genossen. Vorher haben wir noch schnell im Wahllokal unsere Stimme für die Bundestagswahl abgegeben und am Abend ganz gebannt vor dem Fernseher die Ergebnisse beobachtet. Was für ein Wochenende……