
Die siebte Chemo
In den letzten Tagen hatte ich öfter mit fehlender Kraft und Motivation zu kämpfen. Ich bin schnell außer Atem bei geringer Belastung und muss häufig meinen inneren Schweinehund überwinden. Ich erkenne mich nicht wieder. Jetzt kommt wahrscheinlich, dass, was mir von der Brustschwester in der Klinik bereits angekündigt wurde – je länger die Therapie dauert, umso mehr zieht es sich wie Kaugummi und man erreicht eine Talsohle, die durchschritten werden muss. Ganz wichtig an dem Punkt ist bloß nicht aufzugeben, auch wenn es schwerfällt. Die gesamte Krebstherapie ist kein Sprint, sondern ein Marathon.
Der letzte Donnerstag war genau so ein Tag. Es war wieder Chemotag und die Nacht zuvor habe ich schlecht geschlafen. Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker, mein Puls ist gefühlt auf 200 unterwegs und ich habe so richtig null Bock mich fertigzumachen und aus dem Haus zu gehen. Sich in dieser Situation selbst zu motivieren, war für mich eine große Herausforderung. Ist das die angekündigte Talsohle oder wird das noch schlimmer? In dem Moment muss ich mir vor Augen führen, wofür ich das alles tue und durchstehe. Aufgeben ist definitiv keine Option für mich, aber es ist alles andere als einfach. Und es ist noch nicht einmal Halbzeit. Die wöchentlichen Termine zehren doch ganz ordentlich. Zwei Tage einer Woche bin ich in der Klinik – mittwochs zur Blutentnahme und am Donnerstag zur Chemo. Freitag bis Dienstag bleiben mir für eigene Aktivitäten bis es dann wieder von vorn losgeht. Dass manche Patienten während dieser Zeit des Öfteren ans Aufgeben denken, kann ich nun ebenfalls sehr gut nachvollziehen.
Mit der Ankunft in der Klinik konnte ich auch das Tief hinter mir lassen. Meine Stimmung besserte sich noch mehr, als ich die onkologische Ambulanz betrat und mir bekannte Gesichter ein freundliches „Guten Morgen“ entgegenbrachten. Meine Chemonachbarin der letzten Woche lag ebenso wieder auf der Liege neben mir und wir verbrachten die drei Stunden mit einer lockeren Plauderei – wir kannten uns schließlich inzwischen schon ein wenig. Die Zeit verging wie im Flug und das Taxi stand ebenso pünktlich zur Abfahrt nach Hause bereit. Die morgendliche Abfahrtszeit muss ich definitiv noch einmal anpassen, denn ich komme selten pünktlich um 8.30 Uhr in der Klinik an, was mich selbst sehr stresst. Einerseits kommen die Fahrer oft schon verspätet bei mir zu Hause an und somit fahren wir nicht um 7.30 Uhr los. Und andererseits stecken wir mitten im Berufsverkehr und es sind einfach zu viele Menschen zur gleichen Zeit in der gleichen Richtung unterwegs. Für Außenstehende mögen das alles keine großen Probleme sein. Für mich aber schon, denn es ist mein neuer Alltag, mit dem ich mich arrangieren muss. Ich kann das Tempo nicht mehr selbst bestimmen und bin auf die Hilfe der Anderen angewiesen.
Am Wochenende kam noch ein weiteres Erlebnis in meinem neuen Leben hinzu. Wir haben unsere Enkeltochter beim Kinderfasching abgeholt. Ich hatte mich dagegen entschieden an der gesamten Veranstaltung teilzunehmen, da ich mich dem Risiko hustender und schnupfender Kinder nicht so lange aussetzen wollte und ich auch nicht beurteilen kann, wie lange meine Kräfte ausreichen. Ihre Eltern sind beide sehr aktiv im Karneval und hatten an diesem Abend noch eine Veranstaltung und somit war wieder Enkelwochenende für uns. Wir waren noch kurz in der Umkleide der Karnevalisten und als mich zwei Elferratsmitglieder mit meiner Maske entdeckten, fragten sie mich, ob ich eine ansteckende Krankheit habe und sie davor beschützen möchte. Das habe ich verneint und dezent darauf hingewiesen, dass ich mich derzeit in einer Chemotherapie befinde und ich mich vor sämtlichen Krankheitskeimen schützen muss. Sofort veränderten sich die Mienen der beiden Männer und die Stimmung schlug um. Einer der beiden wünschte mir alles Gute für den weiteren Weg. Man spürte förmlich die „dicke Luft“ im Raum und die Verlegenheit der beiden. Es war für uns alle eine komische Situation, aber zumindest wurde ich aktiv darauf angesprochen, warum ich eine Maske trage. Die meisten Menschen schauen sonst nur und fragen nicht. Ich nehme das niemandem irgendwie krumm, denn es steht mir ja auch nicht auf der Stirn geschrieben, dass ich in einer Krebstherapie bin. Und man vermutet Krebspatienten auch nicht unbedingt auf einer Karnevalsveranstaltung.
Da sich meine Geschmacksveränderung bis jetzt nicht eingestellt hat und ich irgendwie Appetit auf einen Gugelhupf hatte, rührte ich am Samstag schnell noch einen Marmorkuchen zusammen. Noch lauwarm haben wir ihn angeschnitten und er schmeckte köstlich. Manchmal sind es eben die kleinen Dinge im Leben, über die man sich freut. Übrigens – während meiner letzten Chemo kam spontan und unangekündigt die Ernährungsberaterin zu mir. Sie hat im letzten Tumorboard am Mittwoch auf meinem Nebenwirkungszettel, den ich wöchentlich abgeben muss, gesehen, dass ich einen metallischen Geschmack und teilweise Geschmacksverlust habe. Sie hat mir dazu noch ein paar hilfreiche Tipps gegeben, die ich definitiv ausprobiere, sobald das wieder auftritt. Für mich aber noch viel interessanter ist, dass die Nebenwirkungszettel auch tatsächlich gelesen und besprochen werden. Auf diesem Zettel muss von mir notiert werden, welche Nebenwirkungen im letzten Chemozyklus aufgetreten sind und wie das aktuelle Gewicht ist. Damit wird im Therapieverlauf geschaut, ob sich irgendwas verändert und eventuell die Medikation der Chemo angepasst werden muss.