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Neuer Chemo-Cocktail

So aufgeregt wie heute, war ich bisher nur zur ersten Chemo. Die letzte Nacht war einfach nur furchtbar, ich habe kaum geschlafen. Mein Puls rast und ich kann mich nur schwer zur Ruhe bringen. Nachdem ich über eine Stunde wachgelegen habe, bin ich schließlich bereits um 5 Uhr morgens aufgestanden. Eigentlich klingelt der Wecker erst um 6.30 Uhr, aber ich bin schon voll drin im Kopfkino – wie vertrage ich die neue Chemo? Was wird mit meiner Polyneuropathie? Ist der Kardiologentermin in Kollision mit meiner Chemo? – solche und andere Gedanken machen es für mich unmöglich wieder einzuschlafen. Getreu dem Motto “ Der frühe Vogel fängt den Wurm“ habe ich somit viel Zeit um mich in Ruhe zu duschen, anzuziehen und zu frühstücken. Wenn ihr glaubt, das beruhigt mich – NEIN. Ich bin total hibbelig und die ganze Zeit in Gedanken an den heutigen Tag.

Das Taxi kommt mit fünf Minuten Verspätung bei uns an und klingt wie ein alter Traktor als es bei uns vorfährt. Nach dem Einsteigen schaue ich als Erstes auf den km-Stand und ich wundere mich plötzlich über gar nichts mehr. Da stehen 610.000 km auf der Anzeige, das halbe Mäusekino an Warnleuchten ist an und ich drücke uns fest die Daumen, dass dieser alte Wagen den heutigen Weg noch überlebt. Es klingt furchtbar und bergauf kann man fast nebenherlaufen. Die Taxifahrerin, die ich noch nicht kenne, schlägt sich tapfer mit diesem alten VW. Mit zehn Minuten Verspätung erreichen wir schließlich die Klinik, aber immerhin sind wir ohne eine Panne angekommen.

In der onkologischen Ambulanz ist es noch recht ruhig, aber die Chemoplätze sind bis auf zwei von zehn schon alle belegt. Ich organisiere mir noch schnell einen Trinkbecher für meinen Tee, den ich mir in einer Thermoskanne mitgebracht habe und richte mich häuslich auf meinem Chemo-Liegestuhl ein. Schließlich verbringe ich hier mehr als drei Stunden. Die Schwester bringt meinen neuen Chemo-Cocktail und mir fällt direkt auf, dass ich keinerlei Tabletten mehr zusätzlich bekomme. Ich bin so erleichtert – ich muss nicht mehr nachts um drei Uhr meinen Wecker stellen, um eine Cortisontablette zu nehmen. Ich kann endlich wieder ungestört durchschlafen, wenn mein eigener Körper das zulässt. Cortison bekomme ich immer noch, aber jetzt in Form einer Infusion, da die Chemo doch auch Nebenwirkungen hat. Dennoch macht sich in mir große Erleichterung breit, denn es fühlt sich für mich gerade etwas nach Entspannung an und wieder ein Kapitel abhaken zu können.

Die jetzige Chemo mit Paclitaxel kann allerdings die Nerven und das Knochenmark angreifen. Eine Nebenwirkung ist die Polyneuropathie, die sich bei mir durchaus auch verschlechtern könnte. Das ist meine größte Angst. Als Prophylaxe wurde mir Kompression für Hände und Füße empfohlen. Somit trage ich nun während der Chemo Tauchhandschuhe, natürlich in pink, und ganz unsexy hautfarbene Kompressionskniestrümpfe an den Beinen. Zusätzlich bekomme ich noch große Kühlpacks für Hände und Füße, da die Kühlung noch einen weiteren vorbeugenden Effekt hat. Alles zusammen soll verhindern, dass sich die Chemo bis in die letzte Peripherie ausbreitet und dort die Nerven schädigt.

Nun liege ich also hier und es ist 9.15 Uhr als die Paclitaxel-Infusion angestöpselt wird. Ab jetzt dauert es gute zwei Stunden, bis alles durchgelaufen ist. Zwei Stunden, in denen die Hände und Füße unter Kompression in Kühlpacks verpackt sind. Man kann nichts weiter tun als schlafen oder einfach das Geschehen um sich herum zu beobachten, da mittlerweile auch in der Ambulanz geschäftiges Treiben herrscht. Falls jetzt jemand auf die Idee mit Hörbüchern kommt – das ist nicht meins, ich lese die Bücher gern selbst. Beim nächsten Mal werde ich mir vielleicht den Podcast von Barbara Schöneberger anhören, das Barbaradio. Tolle Gäste und sie moderiert immer so ungezwungen und frei.

Im Anschluss an das Pacli läuft noch für eine gute halbe Stunde 500ml Ringerlösung zum Spülen nach. In dieser Zeit kann ich die Handschuhe wieder ausziehen, die Kühlpacks kommen weg und ich esse das Leberwurstbrötchen, das mit mein Mann heute Morgen so liebevoll eingepackt hat. Und ich kann mal wieder auf mein Handy schauen, denn mit den Tauchhandschuhen lässt sich das nicht bedienen, auch eine Art Digital-Detox. Geschafft! Jetzt folgen noch elf Wochen dieser Chemo. Gut ist, dass ich nun kein zusätzliches Cortison mehr einnehmen muss und auch die Spritze, die ich mir nach 24 Stunden selbst verabreichen musste, ist weggefallen. Jetzt heißt es abwarten, welche Nebenwirkungen diesmal für mich drin sind.