
Ein erster Lichtblick
Der Wochenstart verlief wenig spektakulär. Mein Weg führte Montag und Dienstag nach der Dusche direkt auf die Couch. Zwei Tage Nichtstun, sich nur eingeschränkt bewegen können. Denken und konzentrieren funktionieren überhaupt nicht. Ich kann nicht einmal ein Buch lesen. Auch der Fernseher ist aus, ich brauche einfach nur Ruhe. Trotzdem ich tagsüber für meine Verhältnisse viel schlafe, kann ich auch nachts sehr gut schlafen. Carsten schleicht durchs Haus und fragt vorsichtig, ob er mir etwas Gutes tun kann. Nein, kann keiner – diese zwei Tage im Ausnahmezustand müssen einfach nur schnell vergehen.
Der Dienstag brachte noch eine weitere Herausforderung mit sich. Ich sitze morgens am Tisch, trinke meinen Tee und bekomme aus heiterem Himmel wieder heftiges Nasenbluten. Carsten springt mir zur Hilfe, greift zur Küchenrolle und legt mir den Kühlakku in den Nacken. Ich schleppe mich auf die Couch und bleibe einfach liegen. Was für ein Start in den Tag. Das ist so unkalkulierbar. Es kündigt sich nicht an, sondern passiert einfach. Und was soll ich sagen, nicht einmal auf die Toilette kann man gehen und es passiert schon wieder. Das Blut tropft aus meiner Nase auf den Boden und ich rufe nach Carsten. Er stürmt herein, bewaffnet mit der Küchenrolle und beseitigt das Malheur während ich mich erneut auf der Couch in die Waagerechte begebe. Was für eine peinliche Situation, aber wir haben uns für das gemeinsame Altwerden entschieden und scheinbar gehören solche Momente nun einfach dazu. Diese Krankheit fordert uns extrem als Paar und stellt die Beziehung auf eine harte Probe. Zwei Fragen drängen sich mir in dem Zusammenhang aber auf. Erstens – muss ich ab jetzt immer mit einer Küchenrolle zur Toilette gehen? Und was noch ein viel schrägerer Gedanke für mich ist – muss ich jetzt immer Bescheid sagen, wenn ich zur Toilette gehe?
Tag zwei im Downmodus ist fast geschafft. Am Nachmittag lacht die Sonne so schön, der blaue Himmel strahlt und sie locken mich nach draußen zu einem kurzen Spaziergang. Die kleine Runde ist anstrengend und atemraubend, aber so langsam kehren meine Lebensgeister zurück. Jetzt kommen die Tage, an denen es mir wieder besser geht, darauf freue ich mich.
Heute ist Mittwoch und ein wichtiger Tag – ich habe seit meiner Diagnose im Oktober einen ersten Kontroll-Ultraschalltermin im Brustzentrum. Meine Aufregung hält sich in Grenzen, ich bin noch zu sehr mit meinem Körper und den Nebenwirkungen der letzten Tage beschäftigt. Es gibt noch ein paar Fragen, die ich mit der Ärztin klären muss und die wöchentliche Blutentnahme wird auch direkt heute gemacht. In der onkologischen Ambulanz ist viel los, aber ich komme pünktlich zum geplanten Termin zu meiner Ärztin. Carsten begleitet mich, denn vier Ohren hören mehr als zwei und mit meiner momentan eingeschränkten Aufmerksamkeitsspanne ist es besser, wenn er dabei ist.
Ich erzähle ihr von dem Nasenbluten, aber sie wirkt nicht beunruhigt. Das sei normal, denn die Nasenschleimhäute sind extrem angegriffen und sie empfiehlt mir diese regelmäßig einzusalben, damit sie geschmeidig bleiben. Die Blutverdünner, die ich momentan nehme, tragen natürlich ihr Übriges dazu bei. Es kann auch sein, dass ein Blutgefäß in der Nase extrem dünn ist und das könnte ein HNO-Arzt veröden. Zunächst beobachten wir das Ganze und bei Bedarf muss ich dann eben noch eine HNO-Praxis aufsuchen. Und ich erzähle ihr von meinen Cortison-Erlebnissen und frage, ob die Dosis für die nächsten zwölf Chemos gleich bleibt. Sie gibt leichte Entwarnung – die Dosierung des Cortisons halbiert sich ab dem nächsten Chemozyklus. Sollte das aber immer noch zu viel sein und ich zu sehr darunter „leiden“, dann kann diese noch weiter reduziert werden. Na dann warten wir einfach mal ab.
Aber das Wichtigste heute ist der Ultraschall. Und dieser bestätigt das, was ich selbst schon ertastet habe – Paul ist auf dem Rückzug. Er hat sich merklich verkleinert, ist in seiner Dicke halbiert. Die Diagnose auf dem Befund lautet partielle Remission. Die Therapie der letzten sieben Wochen zeigt seine Wirkung, diese ganze Quälerei hat einen Sinn. Wir sind auf dem richtigen Weg und ich bin erleichtert. Ein paar Tränen bahnen sich den Weg nach draußen, es sind Freudentränen. Ein überwältigendes Gefühl. Vor der Klinik liegen wir uns beide in den Armen – der erste große Meilenstein ist geschafft. Es liegen noch einige Wochen und Monate mit der Therapie vor uns, aber wir sehen ein zartes Licht am Ende des Tunnels.