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VIER von VIER – Erstes Etappenziel

In den letzten Tagen ist nicht viel passiert. Wir haben unseren Alltag gelebt, ich habe ein wenig gearbeitet und letztes Wochenende hat unsere Enkelin bei uns übernachtet. Die Zeit mit der kleinen Maus ist so wertvoll und intensiv. Wir lachen viel und genießen das unbeschwerte Leben.

Es ist wieder Chemowoche und je näher der Termin heranrückt, um so mehr überkam mich ein Gefühl des Unbehagens. Ich weiß, was auf mich zukommt – sechs Tage, die ich einfach durchstehen muss, bis es mir wieder gut geht. Es ist Donnerstagmorgen 6.30 Uhr, der Wecker klingelt und ich gehe ins Bad, um mich für den Tag fertigzumachen. Ich bereite mir ein kleines Frühstück und den Tee für uns beide, dann wecke ich Carsten. Wir sitzen entspannt am Tisch und plötzlich bekomme ich beim normalen Nase putzen heftiges Nasenbluten. Es läuft wie Wasser und ist nicht zu stoppen. Carsten reagiert geistesgegenwärtig und bringt mir eine Kühlkompresse, die ich in den Nacken lege. Es dauert tatsächlich fünfzehn Minuten bis das Bluten endlich aufhört und ich mich fertig schminken kann. Ein kurzer Schreck in der Morgenstunde, denn ich nehme wegen der Thrombose Blutverdünner, die auch dazu führen, dass selbst kleine Wunden sehr heftig bluten können. Und meine Schleimhäute sind sowieso hochgradig empfindlich wegen der Chemo.

Mein Kliniktaxi ist super pünktlich – eine neue Fahrerin, mit der ich mich aber wieder sehr angeregt unterhalte. Wir beide sind im gleichen Alter, wie sich schnell herausstellt und sie hatte ebenfalls, aber bereits mit vierzig, eine Krebserkrankung. Es ist Wahnsinn, wie vielen Menschen ich in letzter Zeit begegne, die eine Krebserkrankung durchgemacht und überstanden haben. Neulich beim Metzger kam ich mit der Verkäuferin ins Gespräch, da sie mich auf meine Maske ansprach und auch sie hat eine Krebserkrankung mit allen Höhen und Tiefen durchgestanden. Irgendwie baut man mit diesen Menschen sofort eine Verbindung auf, auch wenn jede Krebserkrankung und jede Therapieerfahrung anders ist.

Wir treffen trotz Berufsverkehr um diese Uhrzeit pünktlich an der Klinik ein. Ich suche mir einen Platz im Behandlungsraum und dann startet die vierte und letzte Chemo mit Epirubicin. Die erste Etappe der Therapie ist geschafft – VIER von VIER. Ich bekomme meinen neuen Therapieplan für die noch folgenden zwölf wöchentlichen Chemos mit Paclitaxel und dort steht ein Enddatum drauf – der 17.04.2025 – mein nächstes Etappenziel. Und noch ein Termin, an dem es vielleicht gute Nachricht gibt – nächsten Mittwoch ist ein Kontroll-Ultraschall bei meiner behandelnden Ärztin. Meine Hoffnung ist, dass Paul bereits den Rückzug angetreten hat, zumindest fühlt es sich für mich beim Tasten so an.

Während meinem Aufenthalt in der onkologischen Ambulanz heute hatte ich noch ein Gespräch mit der Brustschwester Heike, die sich regelmäßig nach meinem Befinden erkundigt. Mit ihr spreche ich auch über meine Bedenken mit meiner doch recht ausgeprägten Polyneuropathie in den Füßen und der bevorstehenden Chemo mit Paclitaxel. Sie gibt mir den Rat, die Füße regelmäßig mit Massagebällen zu bearbeiten und so die Nerven zu stimulieren. Ich soll auf Sicht fahren und immer den Vorher-/Nachzustand nach jeder Chemo vergleichen. Wenn sich die Polyneuropathie für mich merklich verschlechtert, Gangunsicherheiten oder Balanceprobleme stärker auftreten als jetzt, hat man die Möglichkeit, die Dosis der einzelnen Chemo zu reduzieren. Es beruhigt mich etwas, aber meine Angst vor dieser Nebenwirkung und einer Verschlechterung bleibt.

Am Nachmittag führe ich noch ein privates Telefonat mit einem Arzt, der Schwiegersohn einer lieben Freundin, der zu Nebenwirkungen unter einer Chemotherapie forscht und auch selbst unzählige Krebspatienten behandelt hat. Von ihm bekomme ich noch weitere hilfreiche Tipps für die Zeit der Pacli-Chemo. Als ich von meinen Down-Tagen erzähle, wirft er das erste Mal den Begriff Fatigue, ein extremer Erschöpfungszustand, in den Raum. Von dieser Nebenwirkung habe ich bereits gehört und gelesen und es passt zu meinem Zustand an diesen Tagen. Er verweist auf Studien, dass Kompression und Eis während der Chemo nachweislich Erfolge hervorgebracht haben, indem weniger Patienten keine oder nur eine leichte Polyneuropathie bekommen haben, die nach einiger Zeit gut behandelt kaum noch spürbar ist. Ich habe mir bereits Tauchhandschuhe und Kompressionsstrümpfe besorgt, die ich während der Infusion tragen werde. Massagebälle habe ich mir direkt im Internet bestellt und werde diese neue Routine mehrmals in meinen Tag einbauen. Sport und viel Bewegung bei regelmäßigen Spaziergängen stehen sowieso auf meinem Programm.

Eine positive Nachricht gab es dennoch an diesem Tag – meine Blutwerte. Die Blutkontrolle vor einer Woche bei meiner Hausärztin hatte einen Leukozytenwert von 2,6 ergeben, was ganz normal unter der Chemo ist. Meine Blutwerte von gestern waren hingegen absolut top. Die Leukos sind bei 15,6 – der Normalwert liegt bei 4,3 bis 10,8. Die Schwester meinte daraufhin, dass ich ja sicherlich auch gespritzt wurde und ich so „ähm NEIN“, keine zusätzliche Spritze für die Leukos. Ich bin so happy, wie mein Körper das allein hinbekommt und sich so gut regeneriert. Sämtliche Erkältungen, die in den letzten Tagen um mich herum waren, habe ich erfolgreich von mir ferngehalten. Bis auf einen kurzen Schnupfen hatte ich nichts. Ist es meine neue Lebensweise? Meine Ernährungsanpassung? Die Zufuhr von Nährungsergänzungsmitteln? Oder die gute und aufmerksame Pflege meines Mannes? Egal – die erste Etappe ist geschafft, ohne größere Probleme und Nebenwirkungen.