
Mal kurz aus der Bahn geworfen
Die Mammografie brachte das hervor, was ich schon wusste – ein gut sichtbarer Knoten in der rechten Brust und die Empfehlung, sich in einem Brustzentrum vorzustellen. Aber eine neue Erkenntnis habe ich gewonnen, nämlich was auf der Überweisung unter Diagnose steht. Der medizinische Wortlaut „unklarer HB re 3h“ gab mir lange Zeit Rätsel auf. Was bedeutet HB? Ganz einfach „Herdbefund“. Etwas erstaunt war ich über die Befundübermittlung – ausschließlich digital. Na hoffentlich ist das für alle ausreichend. Früher gab es die Bilder und den Zettel in die Hand, heute gibt´s einen Link und einen persönlichen Code, unter dem Befund und Bilder hinterlegt sind. Umgehend übermittelte ich den Befund per Mail an meine Frauenärztin, mit dem Hinweis, den mir die Dame der onkologischen Ambulanz auferlegt hatte, dies zeitnah an das Brustzentrum zu faxen. Oh je, ob das wohl klappen wird und die Befunde dann am 09.10.24 tatsächlich vorliegen? Aber ich musste mich nun darauf verlassen, denn ich selbst durfte die Befunde nicht an das Brustzentrum übermitteln, warum auch immer, ich habe keine Ahnung.
Als das alles erledigt war, fuhren wir ganz entspannt mit dem Wohnmobil in den Urlaub. Geplant war ein Trip nach Holland, ein Besuch bei Freunden in der Nähe von Osnabrück, die Fahrt nach Schwerin mit dem Besuch des Schweriner Schlosses und dann weiter auf die Insel Rügen, wo ein gemeinnütziges Projekt, das ich als Vereinsberaterin betreue, beheimatet ist. Eine schöne Tour, die knapp zwei Wochen dauerte. Einfach mal raus – ein Tapetenwechsel.
Wieder zurück, begann der Wochenstart bereits mit einem Zahnarztbesuch, denn seit vier Wochen plagt mich noch eine Wurzelbehandlung, die nun ihren Abschluss finden sollte. Im Nachhinein denke ich, dass alles irgendwie zusammenhängt – seit Juni plagt mich eine Schilddrüsenentzündung und Anfang September kam nach heftigen Schmerzen unter einer Zahnkrone, die in diesem Jahr gesetzt wurde, eine Wurzelbehandlung hinzu. So viele Arztbesuche, wie in diesem Jahr hatte ich schon lange nicht mehr. Egal, da muss ich nun durch. Die Schilddrüsenentzündung heilt langsam aus, die Zahnbehandlung ist nun hoffentlich abgeschlossen und jetzt konzentriere ich mich auf den Brustbewohner.
Es ist Mittwoch, der 09.10.2024, mein Termin im Brustzentrum der Hochtaunusklinik. Etwas gemischte Gefühle stellen sich ein, denn für die Abklärung wird es sicher noch eine Stanzbiopsie für die Gewebeentnahme brauchen, das weiß ich aus meiner Ausbildungszeit als Arzthelferin in einer gynäkologischen Arztpraxis. Mein Mann Carsten begleitet mich, da ich nicht weiß, ob ich danach verkehrstüchtig bin und ja – vielleicht auch als seelische Unterstützung. Wir kommen in die onkologische Ambulanz und beim Eintreten auf diese Station überfällt mich der Gedanke, dass ich hier Krebspatienten begegne. Im Alltag habe ich nicht viel damit zu tun. Außer während meiner Tätigkeit als Geschäftsführerin beim Familienhörbuch.
Ich betrete die Anmeldung und treffe auf die nette burschikose Schwester von meiner telefonischen Terminvereinbarung – etwas schroff, aber ich versuche Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Ich bin ja auch nicht immer einfach 😉 Dann der erste Schock für diesen Tag, wie befürchtet ist mein Mammografie-Befund nicht eingegangen. Macht nix – ich habe ihn ja dabei, den Link und den Code, also digital. Da baut sich die Schwester vor mir auf und meint, damit können sie hier nichts anfangen. Die Bilder und der Befund werden auf einer CD benötigt. Oh Mann – willkommen im digitalen Zeitalter. Ich frage, ob es auch in Ordnung wäre, wenn ich bei meiner Frauenärztin anrufe und die Befunde umgehend faxen lasse. Joup – geht. Einziges Problem, wir sind in einem Krankenhaus und da ist der Handyempfang echt unterirdisch. Mit einem schlechten Empfang und an die Fensterscheibe „geklebt“ versuche ich in der Praxis anzurufen. Es klingelt, aber die Schwester am anderen Ende hört mich nicht. Ganz kurz kommt mein Blut in Wallungen – ich muss dringend zur Toilette, muss noch drei Seiten Anamnesebögen ausfüllen und die Befunde telefonisch organisieren. Einmal tief durchatmen. Schließlich kommt ein Telefonat mit der Frauenarztpraxis zustande und ich erfahre von der Schwester, dass der Mammo-Befund am 11.09.2024 an die von mir angegebene Faxnummer gesendet wurde. Mit dieser Info stapfte ich zurück ins Schwesternzimmer. Zum Glück hatte ich noch meine Notiz mit der Faxnummer dabei und zeigte der Schwester, dass der Befund am 11.09.2024 an die dort notierte Faxnummer aus der Arztpraxis gesendet wurde. Etwas mürrisch bestätigte sie die Richtigkeit der Nummer und schaute in den digitalen Faxeingang von vor 4 Wochen. Und da war er, mein Mammografie-Befund. Jetzt konnte ich endlich auf die Toilette gehen.
Wir nahmen in einem kleinen Wartebereich Platz und beobachteten das Treiben auf dem Flur. Patientinnen, die zur Blutentnahme kamen und ihre Infusion bekamen, ich nehme an, die Chemo. Freundliche Schwestern, die mir auf Anhieb sympathisch waren. Es waren junge Frauen, alte Frauen und Frauen in meinem Alter. Das verdeutlicht, dass Krebs in jedem Alter möglich ist. Über der Station wabert so eine Mystik, es ist ruhig, aber geschäftig. Es ist ein Kommen und Gehen. Es ist nur die Ambulanz und nicht die eigentliche Krebsstation, aber das macht etwas mit einem. Ich fühle mich deplatziert, nicht dazugehörend. Ich beobachte die Frauen – eine Frau erhält gerade einen Zettel von der Schwester mit den Worten, dass dies der neue Therapieplan sein. Der Zettel war voll und ich dachte nur, da bestimmt jemand anders über den Alltag und die Termine dieser Frau. Was ist der Alltag mit Krebs? Ist man noch selbstbestimmt? Noch hoffe ich, dass mir das nicht widerfahren wird. Ich habe doch so viele eigene Termine in den nächsten Wochen, mein Kalender hat eigentlich kaum Freiräume. Je länger ich dort sitze und versuche den Gedanken der eigenen Betroffenheit wegzuschieben, um so mehr geht mir durch den Kopf. Was ist, wenn ich doch Krebs habe? Hier hängen Plakate mit dem Aufruf „Mutmacherinnen gesucht“, mit der eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit gehen und anderen damit Mut machen. Ich glaube, das wäre auch mein Weg – absolute Offenheit und ja auch Öffentlichkeit.
Die Ärztin ruft mich nach einer Stunde Wartezeit auf und ich schildere den Grund meines „Besuches“ hier. Ich gehe ja immer noch davon aus, das der Sturz einen Bluterguss hervorgerufen hat und ich hier eigentlich nicht hingehöre. Sie macht einen Ultraschall, kämpft mit der nur bedingt funktionierenden Technik und klärt mich darüber auf, dass eine Stanzbiopsie zur Gewebeentnahme notwendig ist, um einen klaren Befund zu bekommen. Nun liege ich also selbst auf so einer Liege, wie die Patientinnen, bei denen ich mehrfach in meiner Ausbildung als Schwester bei einer Biopsie assistiert habe. Es wird eine Lokalbetäubung der Brust vorgenommen und die Ärztin „warnt“ vor jedem Schuss vor dem lauten Knallgeräusch, bei dem man sich erschreckt. Nur wegzucken darf man nicht. Das Ergebnis wird ca. eine Woche dauern und wir vereinbaren einen Termin zur Befundbesprechung. Und dann spricht sie ihre Vermutung aus – BÖSARTIG. Bähm, da ist es, wovor ich mich so gefürchtet hatte. Dieses eine Wort. So fühlt es sich also an, wenn man das erste Mal damit konfrontiert wird. Die Ärztin räumt ein, sich auch täuschen zu können, aber glaubt es nicht. Der Sturz könnte nur der Auslöser für das aufmerksame Abtasten der Brust sein, wobei dann der Knoten ertastet wird. Das Berichten viele Frauen, die ebenfalls gestürzt sind und danach einen Knoten entdecken. Ehrlich gesagt, ich taste die Brust hin und wieder ab, aber nicht häufig und auch nicht regelmäßig. Das wird mir nun bewusst.
Wir verlassen die Ambulanz und auf dem Flur erzähle ich Carsten von der Vermutung der Ärztin und mir steigen das erste Mal Tränen in die Augen, aber ich finde schnell wieder die Fassung. Carsten ist ebenfalls geplättet und versucht mit den Worten zu beruhigen, dass wir das Ergebnis abwarten müssen. Aber wir räumen beide auch die Möglichkeit ein, dass die Ärztin sich nicht irrt, denn sie sieht solche Befunde täglich und wird eine negative Vermutung nicht einfach so daher sagen.
Auf dem Weg zum Krankenhausparkhaus gehen wir noch schnell zur Bäckerei auf dem Gelände und wollen Kuchen für die heutige Kaffeezeit mitnehmen. Ihr wisst – das ist unser tägliches Ritual. Die Bäckereiverkäuferin kommt mir irgendwie bekannt vor und da spricht sie uns auch schon an und fragt, ob wir uns nicht aus einer anderen Filiale in Frankfurt kennen. Ja klar, genau daher kenne ich sie und sie hat uns auch sofort erkannt. Wir sind aber schon lange nicht mehr dort gewesen, da wir vor drei Jahren aus Frankfurt weggezogen sind. Das ist echt irre und in dem Moment ein schöner Zufall an diesem Tag.
Im Auto reden wir über den Ablauf der Biopsie und die mögliche Diagnose. Kein Schweigen, denn das sind wir nicht. Erste Gedanken kommen auf, was ist, wenn ich doch Krebs habe. Wir beschließen vorerst niemandem davon zu erzählen, bis der endgültige Befund da ist. Ich möchte keine Ängste verbreiten. Das wird sicher schwer, aber wir beide können miteinander reden. Und so nimmt dieser Tag eine nicht vorhersehbare Wendung. Die Gedanken kreisen, man versucht zu verdrängen, aber sie hat es ausgesprochen. Wieder und wieder gehe ich den Wortlaut durch.