
24 Stunden später – der Tag danach
Wir haben viel geredet, haben versucht zum Alltag zurückzukehren, aber die Gedanken lassen sich nicht verdrängen. Ich habe schlecht geschlafen und bin frühzeitig wieder wach. Ich höre in meinen Körper hinein, taste immer wieder an der Brust, wo noch der Druckverband vom Vortag klebt. Der Knoten ist noch da und ich verspüre einen leichten Schmerz in der linken Schulter, aber das kommt sicher vom Liegen. Mein Entschluss steht fest – wenn sich die Vermutung der Ärztin bestätigt, werde ich sehr offen damit umgehen. Jeder soll wissen, was ich habe. Ich hoffe, dass mein Umfeld dies versteht und mich genauso behandelt wie vorher. Ich bin zwar krank, aber es ist nicht ansteckend. Den Kindern werden wir beim nächsten Familientreffen, einen Tag nach der Befundbesprechung davon erzählen. Unsere beiden Töchter wissen, dass ich etwas in der Brust habe und dass es derzeit abgeklärt wird. Ich hoffe, sie fragen mich in den nächsten Tagen nicht danach, dann brauche ich eine gute Ausrede.
Es kommt, wie es kommen musste. Im Gespräch mit unserer ältesten Tochter, die derzeit im Urlaub ist, drückt sie mir die Daumen für die bevorstehende Untersuchung im Brustzentrum. Sie hat sich im Termin vertan und ich erzähle, dass der Termin gestern war, aber es noch kein Ergebnis gibt, da die Gewebeproben erst eingeschickt werden müssen. Puh, das war knapp und ich hoffe sie hat nix bemerkt. Diese Notlüge war einfach notwendig. Ich will niemanden beunruhigen, bevor kein Ergebnis vorliegt. Ob das richtig ist? Keine Ahnung, aber das ist der Weg, den ich für mich gewählt habe. Carsten, mein Mann, sieht das zum Glück ebenso. Wir sind seit fast 20 Jahren zusammen und seit 11 Jahren verheiratet und sind uns in so vielen Dingen einfach so ähnlich – ein Perfect Match würde ich sagen.
Wir versuchen den Alltag so zu leben wie bisher. Ich habe Online-Termine in meinem Ehrenamt. Ich begleite seit einem Jahr eine Mentee über ein Mentoringprogramm und heute ist unser letzter Termin. Sie bedankt sich für die Zeit und die guten Impulse. Später wartet noch eine Überraschung Ihrerseits auf mich, was ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht weiß. Nach dem Gespräch fühle ich mich wieder richtig gut und für den Moment waren die Worte der Ärztin kurz aus meinem Kopf. Es ist alles wie bisher und das möchte ich auch so beibehalten, auch wenn ich nächste Woche eine negative Diagnose bekomme. Meine Schwägerin hatte vor genau einem Jahr ebenfalls eine Brustkrebsdiagnose erhalten und war trotz Chemo körperlich nicht so geschwächt und wäre am liebsten arbeiten gegangen. Darauf hoffe ich auch, egal welche Diagnose, welche Therapie – ich würde meinen Alltag gern nahezu so weiterleben.
Während meinem zweiten Online-Termin klingelt es an der Tür und Carsten kommt mit einer Box eines Blumenversandes zurück, der für mich bestimmt ist. Von wem kann das sein? Richtig – von meiner Mentee. Die beiliegende Karte mit einem dicken Danke und ganz lieben Worten, die gerade in der jetzigen Situation und nach dem gestrigen Tag richtig guttun, einfach Balsam für die Seele. Ich habe ihr nichts von dem Verdacht der Ärztin erzählt und sie hat unbewusst eine gute Tat vollbracht. Die warmen Worte der Anerkennung kamen genau im richtigen Moment und bestärken mich darin, auch mit einer negativen Diagnose mich nicht unterkriegen zu lassen, offen damit umzugehen und mein gutes Leben weitestgehend weiterzuführen. Ich möchte nichts anders machen, aber ich weiß das das Leben sich zwangsläufig mit einer Krebsdiagnose ändern wird.
Diese Gedanken führen dazu, dass ich noch am selben Tag beginne dieses Tagebuch zu schreiben. Ich will alles von Anfang an festhalten und später auf einem Blog veröffentlichen. Es ist vielleicht auch Teil meiner Eigentherapie, um den Einstieg in das Thema zu finden und mich damit auseinanderzusetzen, denn ich bin davon überzeugt, dass der Kopf und die Gedanken eine große Rolle bei der Heilung einer Krankheit spielen. Ich google nicht nach Brustkrebs, sondern suche nach einem Domainnamen für meinen Blog. Ist es Verdrängungstaktik? Kann sein, aber ich muss auch irgendwie die ungewisse Zeit bis zur Befundverkündung überstehen.