
Ein neues Gesicht
Dass die Haare während der Chemotherapie ausfallen, ist hinlänglich bekannt und lässt sich auch nur schwer verhindern. Den eigenen Kopf ohne Deckhaar zu sehen ist im ersten Moment komisch, aber man gewöhnt sich sehr schnell daran – zumindest ich. Die zweite Stufe beim Haarverlust ist nochmals eine große optische Veränderung. Wimpern und auch Augenbrauen geben einem Gesicht Konturen und Ausdruck. Wenn beides weg ist, fühlt man sich nicht nur nackt, sondern kann ungeschminkt auch nur noch schwer die aktuelle Krankheit verbergen. So geht es mir im Moment – die Wimpern und auch Augenbrauen sind komplett ausgefallen. Bis auf ganz wenige, vielleicht drei Stück pro Seite, dünne helle Augenbrauen ist alles weg. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, blicke ich in ein neues Gesicht. Dank der sehr hilfreichen Schminktipps beim Seminar der DKMS Look good feel better kann ich die fehlenden Haare im Gesicht ganz gut kaschieren, aber auch das ist eine neue Herausforderung so kurz vor dem Ende der Chemotherapie. Aber davon haben bereits viele Chemopatienten berichtet und nun erlebe ich es selbst. Habt ihr einmal versucht, Augenbrauen zu malen, ohne eine Kontur zu haben? Beim Schminkseminar wurde uns gezeigt, wie man das relativ gut und mit etwas Übung hinbekommt. Zum Glück wende ich diese Technik schon eine Weile an und konnte üben. Und trotzdem ist es jetzt noch einmal ganz anders. Bereits nach der zehnten Chemo, die sechste Pacli, zeigte sich auf meinem Kopf ein erster leichter Haarflaum. Die Kopfhaare fangen offensichtlich schon während der Therapie wieder zu wachsen an. Umso verwunderlicher, dass Augenbrauen und Wimpern erst so spät komplett ausfallen.
Ich habe dazu einen Post in den sozialen Medien veröffentlicht und eine Dame antwortete darauf: „Es sind doch nur Haare und schminken ist unwichtig.“ Ja, das stimmt, es sind nur Haare und sie wachsen wieder. ABER – die Haare verleihen einem Gesicht den Ausdruck. Man kann sich als Nichtbetroffener das nur sehr schwer vorstellen, aber als Betroffene fühlt man sich nicht wohl damit. Sie trägt bestimmt auch jeden Tag frische und saubere Kleidung, weil sie sich sonst nicht wohlfühlt. Wir Krebspatienten fühlen uns oft nicht wohl in unserer eigenen Haut. Wir haben während der gesamten Chemozeit einen metallischen Geruch an uns, der über die Haut und aus dem Mund kommt. Vermutlich erfolgt die Ausscheidung von Medikamentenabbauprodukten über die Haut. Man kann sich ganz oft selbst nicht riechen und auch waschen ändert nichts an diesem Zustand. Und wenn ich etwas tun kann, um mich wohl zu fühlen, dann tue ich das eben auch. Und deshalb schminke ich mich fast täglich.
Solche Kommentare zeigen, wie viel Unwissen darüber herrscht, wie ein Krebspatient sich fühlt und womit man innerhalb einer Therapie zu kämpfen hat. Mich schrecken sie nicht ab auch weiterhin darüber zu berichten und zu zeigen, was es bedeutet in einer Krebstherapie zu stecken. Sie belastet nicht nur den menschlichen Körper, sondern auch die Psyche.