
Die vorerst letzte Blutkontrolle
Es ist Mittwoch, der Tag meiner wöchentlichen Blutentnahme. Ein letztes Mal wird vor der Chemo kontrolliert, ob alle Blutwerte im onkologisch akzeptablen Normbereich liegen. Meine einzige gute Armvene hat die letzten fünf Monate tapfer durchgehalten. Da hatte ich zu Beginn große Bedenken, denn wöchentliches Anstechen ist eine enorme Belastung für die Venen und lässt sie schnell vernarben. Dann gibt´s nur noch die Ausweichmöglichkeit auf die Hand und das ist definitiv schmerzhafter und unangenehmer, als am Arm. Das blieb mir zum Glück erspart.
In der onkologischen Ambulanz ist es ziemlich voll und ich reihe mich mit meinem Rolli in die Wartenden ein. Da erblicke ich eine Patientin, mit der ich die letzten beiden Male gemeinsam zur Chemo war. Sie hat erst zwei Chemos hinter sich und noch sechzehn vor sich und hat vor vielem, was an Nebenwirkungen auftreten kann, Angst. In unseren Gesprächen habe ich ihr aus meiner Therapie berichtet und versucht ihr Hoffnung zu machen, dass es alles gar nicht so schlimm kommen muss. Auch dieses Mal unterhalten wir uns sehr intensiv, während wir auf die Blutentnahme warten. Sie ist türkischer Abstammung und hat oft Verständigungsprobleme und daher bleiben viele Fragen, die sie hat, offen. Sie ist dankbar für meine Offenheit und wünscht sich meinen Optimismus. Ich wünsche ihr alles Gute und vielleicht begegnen wir uns noch einmal hier im Brustzentrum, das wäre schön.
Im Behandlungsraum sitzt ebenfalls eine mir bekannte Patientin. Wir haben uns auf dem Patiententreffen am Montag kennengelernt und plaudern ein wenig, während die Onko-Schwester Sabine mir das Blut abnimmt. Auch von ihr verabschiede ich mich mit den Worten, dass wir uns spätestens auf dem nächsten Treffen hier in der Klinik wiedersehen werden. Auf dem Flur begegnet mir meine behandelnde Ärztin, die ebenfalls noch mit mir kurz sprechen möchte zwecks einer Terminvereinbarung für unser Chemo-Abschlussgespräch, was vor der Bestrahlung und nach der letzten Chemo stattfinden muss. Irgendwie fühle ich mich hier in der Ambulanz heimisch, wenn man das für eine Onkologie so sagen kann. Ich fühle mich wohl und habe von Beginn an absolutes Vertrauen zu diesen Menschen, die hier arbeiten. Während ich die Ambulanz verlasse, spricht mich eine weitere Krebspatientin, die ich flüchtig vom Sehen kenne, an, was denn mit meinem Bein passiert sei. Diese spontanen Gespräche und Begegnungen werden mir fehlen. Wir wissen alle, warum wir hier sind und kämpfen alle um unser Leben. Das verbindet irgendwie. Auf dem Weg zum Auto erblicke ich die türkische Patientin auf einer Bank sitzend in der Sonne und wir winken uns beide noch einmal zum Abschied zu. Mit Freude über die letzte Blutentnahme für die Chemo und auch ein wenig Wehmut fahren wir nach Hause.
Am Nachmittag ist noch Kindergeburtstag angesagt – unsere Enkeltochter oder besser gesagt die Eltern feiern den dritten Geburtstag. Ich freue mich sehr darauf, die kleine Maus endlich wieder zu sehen. Das ist im Moment durch meinen Beinbruch leider alles sehr schwierig. Allerdings mache ich mir auch hier im Vorfeld wieder so meine Gedanken. Zum Haus der Kinder führen drei Stufen und das Treppensteigen zählt im Moment mit den Krücken zu meinem absoluten Endgegner. Ich weiß, ich denke zu viel und mache mir über Dinge einen Kopf, die es nicht Wert sind darüber nachzudenken. Carsten schmunzelt immer, wenn ich ihm gegenüber solche Gedanken äußere. Am Haus angekommen, meistere ich mit großem Respekt die Stufen und gelange freudestrahlend hinein. Es ist ziemlich viel los auf der Party und die Kleine kommt schnell an ihre Grenze der maximalen Überforderung. Aber es ist so goldig sie zu beobachten und ihr beim Sprechen zuzuhören. Wenn ich wieder fit bin und auf zwei Beinen stehen kann, werden ich mit ihr all die Zeit nachholen, die wir jetzt nicht haben konnten. Beim Verabschieden am Auto wollte sie sogar mit uns mitfahren. Bald wird das wieder gehen.
Noch etwas zum Schmunzeln – ich habe mir selbst den Namen Humpelstilzchen gegeben. Finde ich derzeit irgendwie passend zu meiner Situation und etwas Spaß muss ja auch sein.