Allgemein

Der dritte Chemozyklus

Heute holt mich kein Taxi am morgen ab, denn wir haben in Königstein bei unserer Tochter übernachtet und Carsten fährt mich in die Klinik. Von hier aus sind es nur zwanzig Minuten. Wir frühstücken alle gemeinsam und meine Enkeltochter hilft mir anschließend beim Schminken. Wir sitzen beide im Schneidersitz vor dem großen Spiegel im Ankleidezimmer und sie packt sämtliche Schminkuntensilien aus und fragt bei jedem einzelnen „Was ist das?“. Es ist so süß. Ich beginne mich zu schminken und erkläre jeden einzelnen Schritt. Sie reicht mir dafür die Utensilien. Zum Abschluss kommt natürlich noch für uns beide der Lippenstift. Das war ein so schöner und friedlicher Moment für mich, ein guter Start in den Tag. So ein kleiner Mensch kann einem so viel geben.

Gestärkt vom Frühstück brechen wir in die Klinik auf und ich komme pünktlich dort an. Es sind schon fast alle Chemoplätze belegt – bekannte Gesichter und auch neue Gesichter. Da alle unterschiedliche Pausen zwischen den Chemos haben, trifft man auch nicht immer wieder die gleichen Patientinnen. Ich mache mir noch schnell einen Tee und dann geht´s los. Ich unterhalte mich ein wenig mit meinen beiden Nachbarinnen, denn die bekommen beide die Pacli-Chemo, die ich ab Ende Januar bekommen werde. Mich interessiert die Verträglichkeit, die sie mir beide bestätigen können. Es geht ihnen gut und sie haben kaum Nebenwirkungen. Das gibt mir ein wenig Hoffnung, denn die Pacli wird für mich dann wöchentlich sein. Wenn ich so an meinen aktuellen Chemozyklus von zwei Wochen denke und an die Tage, an denen ich komplett durchhänge, würde mir bei einer Woche ziemlich viel Lebensqualität verloren gehen.

Die restliche Zeit der heutigen Sitzung verbringe ich mit lesen. Die Chemo neigt sich langsam dem Ende zu, das Taxi habe ich für 11.30Uhr bestellt. Mit einem bangen Blick schaue ich auf den Infusionsbeutel, der langsam vor sich hin tropft und dann wieder auf meine Uhr. Ich werde definitiv nicht um 11.30Uhr fertig sein. Hoffentlich wartet das Taxi vor der Tür, denn telefonisch bin ich in der Klinik nicht erreichbar. Einen letzten Toilettengang vor der Abfahrt erledige ich noch gemeinsam mit meinem Infusionsständer als meinen Begleiter, dann verliere ich nach dem Abstöpseln nicht noch mehr Zeit. Ja, ich gebe es zu, ich bin effizienzgetrieben. Ich versuche viele Dinge miteinander zu verbinden und unnötige Wege zu vermeiden. Das kann ich einfach nicht ablegen, auch jetzt mit meiner Krankheit nicht. Um 11.50Uhr verlasse ich schließlich die Station und hoffe nun auf mein Taxi. Drei stehen vor der Tür und ich frage mich durch. Das Letzte in der Reihe ist tatsächlich meins. Puh, ich bin mega erleichtert.

Den Fahrer kenne ich noch nicht, aber schnell kommen wir beide ins Gespräch. Er ist vor acht Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Nach seinem Schulabschluss wollte er eigentlich studieren, aber im eigenen Land unmöglich. Da blieb für ihn nur die Flucht. Über Pakistan, Türkei, Ungarn, Österreich kam er nach über zwei Monaten Flucht nach Deutschland. Er hat 900 Dollar für einen Schlepper bezahlt und ist unzählige Kilometer stundenlang in irgendeine Richtung gelaufen, die man ihm gezeigt hatte. Für mich immer wieder beeindruckend und unvorstellbar, was diese Menschen auf sich nehmen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Und in Deutschland? Kämpft er seit acht Jahren für die Anerkennung seiner Schulbildung, um eine Ausbildung machen zu dürfen. Er jobt, um Geld zu verdienen, hat aber das Ziel eine Ausbildung zu machen, denn er weiß, nur mit einer Ausbildung hat er in Deutschland auch die Aussicht auf einen guten Job. Bei unzähligen Bewerbungen erhält er nur Absagen, da er keine Ausbildung hat. Er möchte doch einfach nur arbeiten, um sich ein gutes Leben mit einer Familie aufbauen zu können. Das tut mir so leid für ihn, denn er hat wirklich einen starken Willen, spricht ein sehr gutes Deutsch und hat ein Ziel vor den Augen, aber unsere Bürokratie legt ihm dort einfach nur Steine in den Weg. Bei unserer Verabschiedung wünsche ich ihm alles Gute für seinen Weg und Durchhaltevermögen, er soll bitte nicht aufgeben.

Den restlichen Tag verbringe ich ganz entspannt auf der Couch und erledige von hier aus noch paar Büroarbeiten. Die erste Coritson-Tablette nehme ich mit gemischten Gefühlen und bin gespannt auf die Wirkung. In meinem letzten Chemozyklus waren die alles andere als schön.

Und die Thrombose? Ich trage artig meinen Armstrumpf zur Kompression mit wenigen Pausen am Tag und nehme meine Blutverdünner in der Hoffnung, dass sich die beiden Thrombosen schnell auflösen und sich keine neue bildet. Nächste Woche bin ich wieder zur wöchentlichen Blutkontrolle bei meiner Hausärztin, da werde ich sie direkt einmal fragen, wie es nun mit der Behandlung weitergeht. Denn der Gefäßchirurg in der Klinik darf mich als ambulanten Patient nicht weiterbehandeln. Es bleibt wie immer spannend.