
Das war Weihnachten 2024
Manchmal kommt es eben anders als man denkt und vor allem plant. Und planen ist im Moment für uns eh sehr schwierig. So auch zu unserem diesjährigen Weihnachtsfest. Geplant war eine Fahrt nach Thüringen mit unseren Kindern, um die Großeltern zu besuchen. Ihr ahnt es – Carsten und ich sind nicht gefahren. Heiligabend war einer der beiden Tage, an dem ich kaum von der Couch aufstehen konnte und mein Energielevel am Boden war. Das war im ersten Chemozyklus ebenso und alle waren bereits vorgewarnt. So habe ich schweren Herzens abgesagt und die Weihnachtsgrüße begrenzten sich auf Telefonate und Facetime per WhatsApp. Wir beide haben einen ruhigen und entspannten Heiligabend bei Würstchen und Kartoffelsalat verbracht, den wir am Vormittag noch gemeinsam zubereitet hatten. Der weihnachtliche Kirchengang zum Gottesdienst musste ebenfalls ausfallen, einziger Trost – nächstes Jahr ist auch wieder Weihnachten.
Am ersten Weihnachtsfeiertag kamen meine Lebensgeister langsam wieder zurück und wir wagten einen Waldspaziergang über fünf Kilometer. Kräftemäßig herausfordernd, da es sehr bergig ist. Dennoch voller Stolz kamen wir nach einer guten Stunde etwas erschöpft, zumindest ich, zu Hause an. Carstens Plan B wäre gewesen, mich auf der halben Strecke auf einer Bank zu „parken“ und mit dem Auto einzusammeln. Aber mein Ehrgeiz hat mich innerlich gepeitscht und vorangetrieben das zu schaffen. Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben. Getreu meinem Motto – Einfach. Zufrieden. Sein.
Dennoch gab es an diesem Tag noch eine schlechte Nachricht – meine Mutter wurde wegen unklarer Schwäche, hohem Blutdruck und Kreislaufbeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert. Spoiler – nach ein paar Tagen konnte sie das Krankenhaus wieder verlassen. Meine Eltern sind beide Anfang siebzig und noch sehr rüstig. Aber auch hier wird mir die Endlichkeit unseres Lebens wieder einmal mehr bewusst vor Augen geführt.
Den Abend des ersten Feiertages verbrachten wir sehr entspannt auf der Couch und schauten die Helene Fischer Show. Nichts zum Nachdenken, einfach berieseln lassen von der Musik – ja zum Teil auch Schlager. Wir beide tanzen sehr gern und so auch an diesem Abend. Es zuckte in den Beinen und schließlich tanzten wir im Discofox durch unser Wohnzimmer. Es hat riesigen Spaß gemacht. Das werden wir eine lange Zeit nicht in der Öffentlichkeit tun können. Aber auch das kommt wieder zurück.
Der zweite Feiertag wurde mein erster „Auftritt“ mit Perücke außerhalb unserer vier Wände. Wir waren von den Schwiegereltern unserer ältesten Tochter zum Gansessen in einem urigen Lokal eingeladen. Aufpimpen war also angesagt. Auch hier machte ich mir wegen des gut gefüllten Gastraums so meine Gedanken. Diese hielten mich aber nicht davon ab, hier dabei zu sein. „Leben sie Alltag und Normalität“ hatte eine der Schwestern in der Klinik zu mir gesagt, als die Therapie begann. Ja, wir müssen vorsichtig sein, da mein Immunsystem derzeit nicht das Stärkste ist. Aber alles auf Eis legen – nein, das wollte ich nun wirklich nicht. Mit Maske und Perücke saß ich nun also zum Gansessen am Tisch. Etwas anstrengend ist es allerdings schon. Denn auch hier spürt man die fragenden Blicke der anderen Gäste. Und ich selbst? Ich bin total konzentriert auf meine Perücke – sitzt sie noch richtig, ist irgendwas verrutscht oder sieht es komisch aus? Entspannt das Leben und Essen genießen ist etwas anderes. Kommt wieder, nächstes Jahr.
Nach gut zwei Stunden und vollem Magen verlasse ich etwas früher den Gastraum, um frische Luft zu schnappen und nehme auf einer Bank unweit des Lokals Platz. Das tat gut. Plötzlich kommt eine Frau vorbei und schaut mich an. Ich grüße höflich, lächle und wünsche ihr frohe Weihnachten. Dann sagt sie: „Sie sehen toll aus, was für eine schöne Farbe – royalblau.“ Ich bin sprachlos, bedanke mich aber ganz überschwänglich. Sie weiß nicht, dass sie mit ihren spontanen netten Worten einer Krebspatientin den Tag versüßt hat. Beflügelt von diesen Worten gehen wir mit unserer Enkelin zum Auto und fahren alle gemeinsam in das Zuhause unserer ältesten Tochter. Dort verbringen wir einen ruhigen Abend beim Canasta spielen und bleiben über Nacht, da ich am nächsten Morgen in der Klinik, die in der Nähe ist, wieder meinen Kontrolltermin zur Blutentnahme habe.
Das war Weihnachten 2024. Zwei unserer drei Kinder habe ich leider nicht gesehen, aber das wird in den nächsten Tagen nachgeholt. Alles anders, aber auch irgendwie schön. Wir machen einfach das Beste aus der Situation.
Unsere Enkeltochter hat mich zum ersten Mal life mit Glatze gesehen. Sie schaute etwas skeptisch, aber dann ging es schnell mit dem Spielen und Toben weiter. Sie mag meine Perücke und die langen Haare, aber Mütze und Glatze sind für sie auch OK. Ich liebe das an Kindern. Langsam gewöhne ich mich an meinen Kopf ohne Haare, es hat durchaus auch Vorteile. Ich benötige weder einen Föhn noch Haargel und Haarspray. Die Zeit, die ich damit einspare, stecke ich nun in die dekorative Gestaltung meines Gesichtes. Ich kann Mützen tragen, ohne mir Gedanken über das Bad-Hair-Fiasko danach machen zu müssen. Und auch nachts trage ich eine dünne Mütze, da wir ganzjährig bei offenem Fenster schlafen und mein Kopf einfach schneller auskühlt. Es ist ungewohnt, aber auch ganz angenehm. Ich habe noch einige Stoppeln auf meinem Kopf – ganz kahl ist er noch nicht, aber auch das wird noch kommen. Die Augenbrauen und Wimpern sind ebenfalls noch vorhanden.