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Start in den zweiten Chemozyklus

Heute war wieder Chemotag und somit der Startschuss in den zweiten Zyklus. Rückblickend auf den ersten Zyklus kann ich sagen, dass es mir sehr gut gegangen ist. Ich habe die Chemo gut vertragen. Tag 4 und Tag 5 waren von extremer körperlicher Schwäche geprägt und haben mich auf die Couch verbannt. Dennoch habe ich alle drei Tage mein Yoga-Pilates-Programm durchgezogen, mal weniger und mal mehr intensiv, je nach Verfassung. Tägliche kleine, aber auch größere Spaziergänge waren ebenfalls dabei, denn Bewegung an der frischen Luft soll zur verbesserten Wirkung der Chemotherapie und des Allgemeinbefindens beitragen. Ich konnte alles essen, worauf ich Lust hatte, die Appetitlosigkeit war nur an den beiden Schwächetagen vorhanden. Bei Zitrusfrüchten soll man etwas vorsichtiger sein, also keine Mandarinen und Apfelsinen im Übermaß. Jeden Tag nehme ich eine stark verdünnte Ingwer-Zitronen-Honig-Mischung zu mir und ein Nahrungsergänzungsmittel von Orthomol mit allen wichtigen Vitaminen zur zusätzlichen Unterstützung meines durch die Chemo geplätteten Immunsystems.

Vormittags sitze ich so oft es geht an meinem Schreibtisch und erledige ein paar Dinge für unsere Firma wie Rechnungen, Buchhaltung, Steuern usw. Das Leben da draußen geht ja weiter auch mit meiner Krankheit. Meine freiberufliche Tätigkeit als Vereinsberaterin habe ich vorerst auf Eis gelegt, bis ich mich wieder körperlich und geistig fit genug dafür fühle und wieder Herr über meinen Kalender sein kann. Einmal pro Woche bin ich noch in meinem Ehrenamt als startsocial Coach tätig und berate mit meinem Co-Coach, dem lieben Burkhard, im aktuellen Stipendium eine gemeinnützige Initiative. Das lenkt mich ab und gibt mir neuen, nicht krankheitsbezogenen Input. Es ist alles online und lässt sich gut in meinen Tagesablauf einbauen. Es hält meine grauen Zellen fit und ich halte den Kontakt zur Außenwelt.

Zu meinen täglichen Ritualen zählt neuerdings auch das Ölziehen nach dem Aufstehen. Es soll Entzündungen der Mundschleimhaut vorbeugen, die aufgrund der Chemo sehr empfindlich ist. Kann ja nicht schaden. Beim ersten Blick in den Spiegel erfolgt ein kurzer Bodycheck – was tut weh, was tut nicht weh, wie geht´s mir und meinem Kreislauf. Wenn mein fremdbestimmter Kalender keine Termine vorgibt, erfolgt eine grobe Tagesplanung, da ich immer in meinen Körper hineinhöre. Sobald er mir eine Grenze aufzeigt, nehme ich diese auch wahr und gebe dem damit verbundenen Gefühl nach. Früher teilweise unvorstellbar, aber das hat mich die Krankheit bereits jetzt gelehrt – besser auf meinen Körper und seine Signale achten. Tut wirklich gut, probiert´s mal aus. Wir haben nur das eine Leben und was kann wichtiger sein, als auf seine Gesundheit und sein Wohlbefinden zu achten. Oder habt ihr schon einmal auf einem Grabstein gelesen, sie war stets fleissig? Oder dass man eine besondere Anerkennung erhält, wenn man ein Workaholic war? Am Ende eines Lebens zählt, was man in den Menschen, die einem im Leben begegnet sind, hinterlassen hat und dass man sein eigenes Leben auch gelebt hat. Der Autor John Strelecky hat in einem seiner Bücher das Leben als ein Museum beschrieben und jeder Mensch hat sein eigenes Museum. Jeder entscheidet selbst, wie die Räume darin gestaltet werden und welche Räume man selbst noch hinzufügen möchte. Dieses Bild vom eigenen Leben gefällt mir gut. Und ich denke auch der Raum, in dem ich mich jetzt mit meiner Krankheit befinde, hat einen Sinn und auch einen Ausgang zu einem neuen Raum, einem Leben nach dem Krebs.

Mit diesem Wissen und neuen Erkenntnissen über mich und meinen Körper starte ich nun also in den zweiten Chemozyklus. Ich bin hoffnungsvoll ob der geringen Nebenwirkungen vom ersten Zyklus. Der Aufenthalt in der Klinik heute verlief gut, die Chemo lief ohne besondere Vorkommnisse in meine Blutbahnen. Es war viel los in der onkologischen Ambulanz, die Schwestern hatten wieder alle Hände voll zu tun. Kein leichter Job. Dem Klinikpersonal habe ich noch ein kleines Weihnachtsgeschenk in Form von hochwertigen Fruchtsäften mitgebracht, sie sind immer alle so nett und freundlich – mittlerweile auch Schwester Elfriede. Auf dem Flur begrüßte mich aus der Ferne schon die Oberärztin und sprach mich beim Näherkommen mit meinem Namen an. Unglaublich, ich war nur wenige Male bei ihr und sie hat so viele Patienten. Solche kleinen Aufmerksamkeiten geben mir das gute Gefühl, hier in den richtigen Händen zu sein.

Einen kleinen Pulstreiber hatte ich heute allerdings schon früh am Morgen. An den Tagen der Chemotherapie werde ich von einem Taxi in die Klinik gefahren. Die Termine hatte ich bei meiner letzten Fahrt alle mitgeteilt und die Bestätigung vom Chef persönlich erhalten. Da stehe ich also nun um 7.30 Uhr mit meiner gepackten Hoffnungstasche mit Buch, Brille und Broten von Carsten und warte auf das Taxi – aber es kommt nicht. Carsten, noch in seinem lockeren Morgenoutfit, springt schonmal ins Bad für den Fall, dass er mich fahren muss, wenn kein Taxi kommt. Der Supergau und mein Puls steigt langsam an. Nach fünf Minuten rufe ich Jörg, den Fahrer vom letzten Mal an und er meint, er fährt mich heute nicht. Nächste Eskalationsstufe – ich rufe den Chef vom Taxiunternehmen an und frage, ob man mich vergessen hat. Mit ruhiger Stimme meint dieser, dass Pippi gleich bei mir sei, da sie gerade aus Limburg von einer Fahrt kommt. OK – dann warte ich mal auf Pippi, wer auch immer da kommen mag, Hauptsache ich komme pünktlich in der Klinik an. Um 7.40 Uhr ist Pippi endlich da, die von ihren Eltern den Namen Regina bekommen hat, sich mir aber als Pippi vorstellt, weil sie alle so nennen. Wir sind schnell beim DU, reden locker über alles Mögliche und haben das Camperleben als gemeinsames Thema für uns entdeckt. Das Navi sagt wenig Stau voraus, wahrscheinlich sind schon viele in den Weihnachtsferien, und die Ankunftszeit steht bei 8.38 Uhr. Passt so weit und ich entspanne mich langsam wieder. Die Fahrt ist aufgrund der gemeinsamen Gesprächsthemen sehr kurzweilig und angenehm und wir stehen um 8.33 Uhr vor dem Haupteingang der Klinik. Diese Episode erzähle ich Sabine, der Chemo-Schwester und erkläre meine verspätete Ankunft. Ganz gelassen, ruhig und mit einem Lächeln im Gesicht erklärt sie mir, dass sie erst ab 9.30 Uhr damit beginnen uns anzurufen und nachzufragen, wo wir denn bleiben.

Also nächstes Learning für mich – es gibt eine Ankommenszeit mit Toleranz wie im Kindergarten. Irgendwie fühle ich mich auch gerade so – wie ein Kindergartenkind, das noch viel lernen muss, um irgendwann zu den Großen auf dem Pausenhof zählen zu dürfen und die zehnte Klasse erfolgreich abzuschließen. Viele Learnings liegen bei dieser Reise also noch vor mir.