
Zwei Tage down
Die neue Woche hat begonnen, es ist Tag 4 und 5 nach der Chemo und ich bin total schlapp. Mein Körper ist nicht belastbar, mein Kopf kann kaum klare Gedanken fassen und mein Aktionsradius begrenzt sich bis auf wenige Ausnahmen auf die Couch. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so ausgebrannt war. Ich schleiche durchs Haus in der Hoffnung nicht zu stürzen, da meine Beine gefühlt eine gummiartige wabrige Konsistenz haben. Irgendwie gehören sie nicht zu mir und machen auch nicht wirklich das, was ich will. Da hilft nur eins – rumliegen und ausruhen. Mich nervt irgendwie alles, jedes Wort ist zu viel. Denken klappt nicht besonders gut und in Kombination mit dem Sprechen wird´s auch nicht besser. Hoffentlich vergeht das ebenso schnell wieder, wie es gekommen ist.
Damit ich nicht ganz untätig bin, habe ich mich vor ein paar Tagen bereits für die Teilnahme an einem Online-Schminkseminar für Krebspatientinnen von look good feel better angemeldet. Mit einer prall gefüllten „Hoffnung ist schön“ Tasche bekommt man Kosmetik- und Pflegeartikel kostenfrei zugesandt und kann als Krebspatientin daran teilnehmen. Ich möchte auch während der Therapie schön sein und mich auch schön fühlen. Gemeinsam mit neun anderen Krebspatientinnen bin ich online und wir hören der Kosmetikerin Soraya gespannt zu. Sie ist selbst vor drei Jahren an Leukämie erkrankt und weiß nur zu gut, was es bedeutet keine Haare als Frisur und keine Augenbrauen und Wimpern mehr zu haben. Gemeinsam schminken wir uns nach ihrer Anleitung und es tut gut, die anderen Frauen zu sehen und zu wissen, dass wir alle gemeinsam gerade in dieser beschissenen Situation sind. Man ist nicht allein, auch wenn man den Kampf gegen den Krebs körperlich allein kämpfen muss.
Das Seminar ist toll und ich bekomme einige Tipps für die haarlose Zeit und mein persönliches Wohlbefinden. Gut, bei den Augenbrauen muss ich noch etwas üben, da sie mir einfach etwas zu präsent in meinem Gesicht sind. Zumindest habe ich aber nun eine Technik erlernt, mit der ich auch ohne Haare die Augenbrauen stimmig ins Gesicht setzen kann. Übung macht einfach den Meister. Zwei Bindetechniken mit einem Tuch zeigt uns Soraya ebenfalls.
Eine Frau fällt mir im Seminar auf, Daniela. Sie ist Mitte vierzig, Mutter von zwei Kindern und hat ebenso wie ich letzte Woche mit der Chemo begonnen. Auch sie hat ihre Haare noch auf dem Kopf und wir beide wissen, dass es nicht mehr lang dauern wird, bis sie ausfallen. Mitten im Schminkkurs „platzen“ die beiden Kinder von Daniela ins Zimmer herein (schätzungsweise zwischen 7 und 10 Jahren) und schauen ihrer Mutter und uns beim Schminken zu – ganz ohne Berührungsängste. Sie bemerken die Frauen mit der Glatze und äußern dies auch lautstark, aber nicht abfällig oder böse. Kinder sind einfach so unbeschwert. Aber als ich über diese Situation nachdenke und über meinen heutigen körperlichen Zustand, habe ich einen riesengroßen Respekt davor, wie Daniela ihren Alltag mit der Krankheit bewältigen muss. Ich wäre heute absolut nicht in der Lage gewesen, mich um ein oder zwei Kinder zu kümmern, ich hatte so viel mit mir selbst zu tun. Es gibt unzählige Frauen, die genau das durchstehen müssen – diese Mehrfachbelastung mit Krankheit und Alltag und einfach nur funktionieren müssen. Wie lange hält der Körper das aus? Und kann man sich als Frau dabei zu einhunderprozent auf die Therapie und das Gesundwerden konzentrieren?
Der Dienstag ist gefühlt der Bessere der beiden Tage und am Nachmittag mache ich mit Carsten einen ausgiebigen Spaziergang. Kopf und Beine kommen langsam wieder in den gewohnten Gang und auch das Essen schmeckt besser. Meine Lebensgeister kehren langsam zurück und morgen steht Frühsport auf dem Programm, wenn es die Kräfte zulassen.