
Die erste Chemo
Gestern fragte mich Carsten, ob ich Angst vor der Chemo habe. Nein – Angst habe ich nicht. Angst hatte ich vor der Port-OP. Lange Zeit habe ich darauf gewartet, dass es endlich losgeht. Es ist meine Lebensverlängerung, meine Überlebenschance. Ich bin aufgeregt und gespannt, was auf mich zukommt und wie alles abläuft. Die letzten Tage sind wie im Flug vergangen. Vor nicht einmal zwei Monaten habe ich erfahren, dass ich Brustkrebs habe.
Ich habe mir eine „Klinik“-Tasche gepackt, die ich mitnehme. Mein Tablet, Kopfhörer, warme Socken, ein Buch von Franca Louni, meine Lesebrille, Zettel, Stift, Haarspray (noch habe ich ja Haare), Leberwurstbrot (liebevoll von Carsten geschmiert), Mandarine und Apfel – Getränke gibt es auf der Station in der Klinik. Der Taxifahrer, der mich heute fährt, ist pünktlich um 8.30 Uhr da und dann geht´s los. Wir wühlen uns im Morgenverkehr durch den Taunus und erreichen Punkt halb neun die Klinik.
Nichtsahnend öffne ich die Tür zur onkologischen Ambulanz. Auf der Hälfte des Flurs steht eine Person, die mir bekannt vorkommt, die ich hier aber nicht vermute, da wir heute Morgen noch telefoniert haben. Ich komme näher und da steht tatsächlich unsere älteste Tochter mit einem Care-Paket in der Hand vor mir. Sie wünscht mir im Namen aller Kinder und von meinem Mann alles Gute für die erste Chemo. Ich bin selten sprachlos, aber da fehlten auch mir die Worte. Mit so einer tollen Überraschung habe ich nicht gerechnet. Das tut gut, zu wissen, dass die Familie zu mir steht und mir den Rücken stärkt – mehr können sie nicht tun. Aber sie geben mir die mentale Stärke, die ich für diese Behandlung und meinen ganz eigenen Weg brauche. Der Schutzengel, den sie mir schenken, wird mich auf ewig begleiten.
Jetzt geht es also los. Sabine, eine der Chemo-Schwestern, kommt mit einem Tablet voller Tabletten, zwei dicken rot gefüllten Spritzen und viel Papierkram zu mir. Die Infusionen mit der Chemo hängen bereits neben mir am Infusionsständer. Sabine ist gut gelaunt und erklärt mir alles sehr gut und nimmt die erste Port-Kontrolle nach der OP vor. Die Narbe verheilt sehr gut und der Port ist durchlässig, ein wichtiges Kriterium für einen Port-Träger. Ich bekomme Medikamente gegen Übelkeit und die erste Infusion läuft. Alles aufregend, aber auch irgendwie unspektakulär. Ich kann während der Chemo essen, trinken, zur Toilette gehen, schlafen – einfach tun wonach mir der Kopf gerade steht und wie ich drei Stunden hier gut verbringen kann.
Zwischendrin habe ich noch einen Termin bei der Ärztin, die einen Markierungs-Clip in dem Tumor platziert. Unter der Chemo können sich die Tumore so weit zurückbilden, dass sie am Ende der Behandlung faktisch weg ist. Bei der OP im Anschluss wird das Gewebe begutachtet und der Clip entfernt. Also Paul – ich würde sagen, dein Auszug steht vielleicht kurz bevor, du solltest schon einmal deine Koffer packen. Kündigung wegen Eigenbedarf!
Nach dreieinhalb Stunden kann ich die Klinik mit einem Medikamentenplan für die nächsten 48 Stunden wieder verlassen. Der heutige Aufenthalt war mit vielen neuen Eindrücken gespickt. Unsere Tochter war die gesamte Zeit an meiner Seite und wir haben Karten gespielt. Eine gute Ablenkung für mich und auch das Pflegepersonal findet das toll. Ich habe während der Chemo nichts gespürt, mir geht es gut. Neben den klaren Flüssigkeiten gab es sogar einen „Erdbeer-Limes“ direkt intravenös (die beiden rot gefüllten Spritzen vom Tablett). Nur geschmeckt habe ich davon nichts. Die Psycho-Onokologin hat sich mir vorgestellt, die ich und meine Familie bei Bedarf in Anspruch nehmen kann. Und auch Heike, die Brustschwester, kam auf ein Gespräch vorbei. Ich. fühle mich hier wirklich sehr gut aufgehoben.
Zu Hause angekommen, erzähle ich Carsten alles und wir trinken gemeinsam unseren Nachmittagskaffee. Er hat sich Gedanken gemacht, ob es gut war, mich allein zur ersten Chemo fahren zu lassen. Das braucht er absolut nicht, er tut so viel für mich. Ich selbst fand den Gedanken, ohne ihn zu fahren, nicht schlimm und letztlich war ich dann doch nicht allein. Danach geht´s ab auf die Couch mit einem Tee. Ich schaue aus dem Fenster, draußen schneit es – wie entspannend es doch ist, wenn man Schneeflocken beobachtet.