
Verdrängung
Es ist für unsere gesamte Familie eine Ausnahmesituation. Zum Glück hat man damit keine Erfahrung. Unser bisheriges Leben hatte nicht sehr viele Schicksalsschläge. Aber in diesem Jahr, in 2024, kommt diese heile Familienwelt ein wenig ins Wanken und wird auf eine harte Probe gestellt. Carsten und ich gelten immer als Fels in der Brandung, wir sehen viele Dinge sehr pragmatisch und nehmen jede Hürde mit einer gewissen Gelassenheit. Aber eine Krebsdiagnose ist nichts, worauf man sich und seine Liebsten vorbereiten kann. Bisher dachte ich, dass im engsten Familienkreis alle damit gut klarkommen, auch weil ich offen und ungeschönt alles direkt kommuniziere.
Aber als ich ein Foto von der Perückenanprobe in die WhatsApp-Familiengruppe teilte, war mir nicht bewusst, welche Reaktionen das bei unseren Kindern auslösen würde. Sehr zurückhaltende Reaktionen und Smileys, die mir irgendwie das Gefühl gaben, es stimmt etwas nicht. Die Kommunikation in dieser Familiengruppe läuft sonst anders. Ein wenig ärgerte ich mich auch darüber, da ich von der ersten Perückenanprobe so begeistert war und erleichtert diesen Salon verließ, dass ich mich mit einem künstlichen Harrersatz gut anfreunden könne.
Was ist, wenn meine Kinder mir jetzt nicht die Kraft geben können, die ich brauche, um diese Krankheit durchzustehen? Bei Carsten habe ich da keine Zweifel, das zeigt und sagt er mir auch mehrfach. Aber bei unseren Kindern kann ich das im Moment nur schwer einschätzen. Sicher haben sie Berührungs- vor allem aber Verlustängste. Das kann ich sehr gut verstehen. Als Angehöriger, der nicht selbst von der Krankheit betroffen ist, kann man nur an der Seite stehen. Das macht vielleicht auch ohnmächtig.
Ein klärendes persönliches Gespräch mit jedem unserer Kinder schaffte Abhilfe. Alle drei gehen komplett unterschiedlich damit um. Die Perücke hat einfach die Krankheit bei der eigenen Mutter sichtbar gemacht und vor Augen geführt, dass es kein schlechter Traum war, der nach dem Aufwachen wieder vorbei ist. Ich möchte sie auf meiner Reise mitnehmen und sie stehen mir bei. Wir haben offen über die Gefühle gesprochen und sind alle gemeinsam sehr zuversichtlich. Die Kraft der eigenen Familie ist unheimlich wichtig. Auch wenn ich selbst sehr stark bin, brauche ich aber dennoch diesen Rückenhalt.
Die Augen vor der Diagnose, der Krankheit zu verschließen hilft uns nicht. Wir müssen uns der neuen Realität stellen.