Ich sterbe heute
Diese drei Worte schrieb eine Freundin, die ich während meiner Chemotherapie kennengelernt habe, heute in unseren WhatsApp Chat. Fünf Tage vor Heiligabend. Wir hatten in den letzten Monaten sehr engen Kontakt, sie war auf meiner Happy Life Party im September, wir waren vor knapp drei Wochen noch gemeinsam mit unseren Männern frühstücken. Der nächste Termin für ein Treffen im Januar war schon in Planung. Ich habe ihr vor Kurzem ein Mutmachpäckchen geschickt und wir haben in Abständen telefoniert.
Und dann erreichen mich heute Morgen diese Worte. Es beschäftigt mich. Wie fühlt man sich, wenn man für sich selbst erkennen muss, dass der Körper den Krebs nicht besiegen kann? Das alle Therapien den Krebs nicht mehr zurückdrängen können? Ich schaue permanent auf´s Handy, aber meine letzte Nachricht an sie nach diesen drei Worten bleibt ungelesen. In Gedanken bin ich. bei ihr und ihrem Mann mit den Kindern. Sie verlieren heute die Ehefrau, die Mutter – kurz vor Weihnachten.
Ihre Prognose war sicherlich nicht die Beste. Der Krebs war nach der abgeschlossenen Akuttherapie Ende September mit voller Wucht und viel aggressiver als zuvor zurückgekommen. Sie war eine Palliativpatientin, obwohl sie drei Monate zuvor noch als geheilt entlassen wurde. Sie hat die lange Anreise nach Heidelberg auf sich genommen, einem sehr bekannten und renommierten Tumorzentrum. Doch jede Woche kam eine neue Hiobsbotschaft hinzu. Metastasen im Kopf, die bestrahlt werden mussten. Währenddessen erfolgte keine Chemo. Dann eine heftige Erkältung, die ihrem ohnehin sehr geschwächten Körper noch weiter zusetzte. Ein erneutes CT Anfang dieser Woche gab ein wenig Hoffnung – keine neuen Metastasen und auch die im Kopf hatten sich verkleinert. Es fühlte sich gut und hoffnungsvoll an.
Dennoch wurde sie stationär aufgenommen, da der geschwächte Körper wieder aufgebaut werden musste. Eine Lungenuntersuchung folgte am Mittwoch, da sie schlecht Luft bekam. Gesprochen haben wir nicht mehr, aber bis kurz vor der Untersuchung noch geschrieben. Donnerstag war ich selbst wieder in Bad Homburg in der Klinik, da meine Nachsorgeuntersuchung in der Strahlentherapie anstand. Eigentlich wollte ich sie besuchen, aber sie wurde vorher nach Usingen in eine Klinik verlegt. Ich schrieb ihr heute Morgen noch, dass ich mir Sorgen mache, da es so still um sie ist und am Montag wieder zur Blutkontrolle in der Klinik bin. Das würde ich direkt mit einem Besuch bei ihr verbinden. Dazu soll es nun nicht mehr kommen. Das macht mich so traurig. Es ging alles so schnell, viel zu schnell. Keine drei Monate sind seit der Zweitdiagnose vergangen. Und es zeigt, dass Krebs einfach unberechenbar ist. Es ist nun mal kein einfacher Schnupfen. Daran sterben Menschen. Und leider auch immer noch an Brustkrebs.
Sie hat den Kampf nicht verloren. Sie war so tapfer, aber der Krebs hatte den Körper für sich eingenommen. Sie hatte einen Zehn-Jahres-Plan und ihr fünfzigster Geburtstag im nächsten Jahr sollte gefeiert werden. Sie wollte leben, aber dies durfte sie nicht allein entscheiden. Die Medizin ist weit, aber es gibt immer noch Grenzen.
Ich bin einfach dankbar, dass ich heute hier sein darf – geheilt, krebsfrei und nahezu gesund. Ich bin dankbar für mein Leben und meine Familie. Nichts ist selbstverständlich und schon gar nicht die eigene Gesundheit. Das Leben wird weitergehen, wir gehen zum Alltag über. Aber sie wird in unseren Herzen bleiben. Ich bin jetzt Teil der großen Krebs-Community und sehe viele Menschen mit Krebs. Der Tod wird jetzt irgendwie zu meinem neuen Alltag dazugehören.
