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Und die Psyche?

Auch starke Menschen kommen in bestimmten Situationen ins Straucheln. So auch ich und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nur gute Zeiten während meiner bisherigen Krebstherapie hatte. Der Anfang der Chemo war teilweise wirklich hart. Nicht die Chemo selbst, aber die Nebenwirkungen und die Einschränkungen, die damit einhergehen. Es gibt keinen normalen Alltag mehr. Man lauert auf Nebenwirkungen und beobachtet seinen Körper ganz genau. Jedes Zipperlein wird mit der Chemo und dem Krebs in Verbindung gebracht. Man bewegt sich teilweise nur noch in seiner eigenen Welt – der Welt eines Krebspatienten. Den Anschluss an die Aussenwelt in dieser Zeit nicht zu verlieren, ist absolut nicht leicht. Man versucht alles möglich zu machen, aber dann doch am Ende den Freunden oder der Familie eine Absage für einen Besuch zu erteilen. Und man fühlt sich schlecht dabei, denn ich bin ja der Grund für die Absage. Der eigene Kopf spielt verrückt, klar denken ist teilweise unmöglich und das dabei entstehende Kopfkino ist nicht zu unterschätzen. Kopfarbeit ist fast unmöglich. Ich habe an diesen Tagen keine komplexen Denkarbeiten erledigen können. Eine Einschränkung, die man erst einmal akzeptieren muss. Das kannte ich bisher noch nicht.

Die Chemo verliert im Laufe der Zeit ihren Schrecken – bei mir selbst wie auch bei meinen nahen Angehörigen. Sie sehen, dass es mir gut mit allem geht und natürlich versuche auch mir nicht alles anmerken zu lassen. Ich habe versucht weiterhin die starke Mama zu sein. Das Schreiben meines Blogs hat mir sehr durch diese Zeit geholfen. Ich kann all meine Gedanken niederschreiben und Menschen, die mich kennen, können mir unbemerkt folgen, ohne mich ständig persönlich zu kontaktieren. Denn ich glaube auch viele unserer Freunde haben Berührungsängste mit mir als Krebspatientin, da sie nicht wissen wie es mir geht und wie ich drauf bin. Dafür können all diese lieben Menschen meinen Weg und den schlimmsten Teil in meinem bisherigen Leben in meinem Online-Tagebuch mitverfolgen. Und das stimmt mich mit all dem auch versöhnlich.

Als ich im Oktober 2024 die Krebsdiagnose bekam, war ich weniger geschockt und bin direkt in den Kampfmodus übergegangen. Manche beschreiben diesen Zustand als den Weltuntergang, haben tagelang geweint und hatten das Lebensende vor sich gesehen. Das alles hatte ich nicht. Auch später setzten diese Gefühle nicht bei mir ein und ich fragte mich des Öfteren, ob mit mir etwas nicht stimmt auf der emotionalen Ebene. Oder habe ich einfach nur einen guten Verdrängungsmechanismus für mich selbst entwickelt? Keine Ahnung und auch darüber mache ich mir weniger Gedanken. Was mich dann aber richtig aus der Bahn geworfen hat, war mein gebrochenes Bein. Es lief gerade super – mit der Chemo war ich fast durch, es ging mir prima, ich war wieder allein mit dem Auto unterwegs und der Frühling hielt langsam Einzug. All das, bis auf den Frühling, wurde abrupt gestoppt und ich wurde komplett zurückgeworfen, auch mental. Und zwar so richtig. Ich fiel in ein tiefes Loch, ich saß da und kam nicht raus für knapp zwei Wochen. Ich fragte mich, wie das nun alles weitergehen sollte und was mit der Chemo werden würde? Heilen die Wunden und die Knochen trotz der körperlichen Belastung durch die Chemo? Ich habe in dieser Zeit viel gegrübelt, aber nicht geweint. Nichts konnte ich mehr allein machen, selbst zur Toilette brauchte ich Begleitung, da ich mit den Krücken so unsicher unterwegs war. In einem Haus mit zwei Etagen ist die obere Etage für mich unerreichbar gewesen. Mein Bewegungsradius begrenzte sich auf das Bett und die Couch. Erst als ich mir einen Rollstuhl organisiert hatte, kam für mich zumindest auf der unteren Etage ein größerer Bewegungsradius und somit etwas wie Selbständigkeit hinzu.

Mittlerweile habe ich mich mit allem gut arrangiert, da mir auch nichts anderes übrigbleibt. Ich werde nicht gesund, wenn ich mental nicht dazu bereit bin. Mit der Operation des Beines ging es dann langsam wieder bergauf und ich motivierte mich jeden Tag ein Stück mehr zu tun und wieder zu kämpfen, auch wenn es noch mehr Kraft braucht als vorher. Ich erlegte mir ein tägliches „Lauftraining“ um unseren Esstisch auf und begann, mit dem Rolli die ersten Arbeiten in der Küche selbst zu erledigen (Kuchen backen, Essen zubereiten, die Spülmaschine ausräumen). Es dauert alles länger und die Küche ist definitiv nicht behindertengerecht, aber im Moment habe ich sowieso extrem viel Zeit, da meine Priorität auf dem Gesundwerden liegt. Das Einzige, was meinen Terminkalender füllt, sind Arzt- und Behandlungstermine. Die Treppe im Haus kann ich auch allein bewältigen – ich rutsche auf dem Hosenboden hoch und runter und nehme dabei meine Krücken mit. Somit kann ich mich auf beiden Etagen allein bewegen. Wieder ein großer Schritt in Richtung Rückgewinnung meiner Selbständigkeit und gut für meinen Kopf. Das nächste Level erreichte ich letztes Wochenende, als ich mich heimlich, still und leise morgens aus dem Schlafzimmer geschlichen habe, während mein Mann noch tief und fest schlief – auf einem Bein, mit einem Klumpfuß und zwei Krücken, aber ich habe es geschafft und war so stolz auf mich. Manchmal sind es eben die kleinen Dinge im Leben, die einem eine Freude bereiten und für mich sind es im Moment eben diese Fortschritte. Ich brauche Erfolgserlebnisse, die mich motivieren, nicht aufzugeben.

Insgesamt ist es momentan psychisch und auch physisch schon eine große Herausforderung. Aber mein Motto lautet: Was mich nicht umbringt, macht mich stark! Es wird noch eine Weile dauern, bis alles wieder normal laufen kann. Und dann steht sowieso die Frage im Raum, was ist das neue Normal? Will ich überhaupt zurück in den alten Alltag? Ich habe mich verändert, die Krebsbehandlung hat einiges in mir ausgelöst, dass mich zum Nachdenken bringt. Ich schneide alte Zöpfe ab und mache Platz für Neues. Ich will nicht stehenbleiben, sondern weiter nach vorn gehen. Wohin? Keine Ahnung, ich lasse mich treiben und halte die Augen offen.