
Zwei Tage Berlin
Die Reise nach Berlin zur Yes!Con, einer Krebsconvention, war schon lange vor meinem Beinbruch geplant. Für eine kurze Zeit hatte ich überlegt diese Reise nicht zu machen, aber seitdem ich mit dem Rollstuhl ein Teil meiner Mobilität zurückerlangt hatte, kam der Gedanke in mir hoch, doch diese Fahrt anzutreten. Schließlich sind es sechshundert Kilometer einfache Fahrtstrecke und die örtlichen Gegebenheiten sind mir in Bezug auf Barrierefreiheit nicht bekannt. Aber die Sehnsucht einfach mal hinauszukommen war einfach zu groß, auch während meiner Krebstherapie. Also haben wir unsere Koffer gepackt – jeder seinen eigenen. Im Zustand mit zwei gesunden Beinen ist das nichts Besonderes, aber für mich im Rollstuhl schon eine kleine Herausforderung. Schließlich treten wir Donnerstagvormittag ganz entspannt unsere Reise an, die erste Etappe sitze ich am Steuer. Nach über sechs Wochen das erste Mal wieder Auto fahren. Da wir einen Automatik fahren, kann ich das linke Bein mitsamt dem Stiefel an der Seite „parken“. Bei einem Zwischenstopp in Thüringen, bei dem wir uns mit meiner Mutter verabredet haben, gab es einen leckeren Eisbecher und zum „Nachtisch“ noch eine echte Thüringer Bratwurst, bevor wir die letzten zweieinhalb Stunden Autofahrt bis Berlin antraten. Diese verbrachte ich dann mit dem hochgelagerten Bein entspannt auf der Rücksitzbank.
Unser Hotel liegt mitten in Berlin-Schöneberg an einer großen Hauptstraße. Hier pulsiert das Leben, aber es zeigt mir auch, dass ich sehr gern auf dem Land lebe und unsere Ruhe liebe. Das Zimmer ist sehr geräumig, modern und vor allem behindertengerecht, da im großen Badezimmer ein zusätzlicher Duschhocker und am WC zwei Haltegriffe waren. Ich hatte im Vorfeld mit dem Hotel Kontakt, um abzuklären, ob es einen Fahrstuhl gibt, da ich keine Treppen steige, mit den Krücken. Offensichtlich wurde dann auch direkt darauf geachtet, dass wir ein ausreichend großes Zimmer bekommen, denn gebucht habe ich das nicht extra. Den Abend lassen wir ganz in Ruhe ausklingen.
Freitagmorgen – der Tag startet mit einem guten Frühstück, bevor wir uns ein Uber bestellen, um zur Location, dem Gasometer, zu gelangen. Zum allerersten Mal nutzen wir Uber und kein herkömmliches Taxi und sind fasziniert von der Softwareanwendung, die hinter dieser App steckt – Berufskrankheit eben. Angekommen am Gasometer, hier fand vor wenigen Tagen noch die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages unserer neuen Bundesregierung statt, stießen wir schon auf die ersten Hürden für mich als Rollifahrerin. Über Kopfsteinpflaster, Kabelbrücken und eine etwas steile Auffahrrampe gelangen wir zur Akkreditierung. Hier ist es sehr voll und auf mich im Rolli wird wenig Rücksicht genommen, ich bin eben nicht auf Augenhöhe und somit nicht sichtbar. Die nächste Hürde lauert an einer Drehtür, durch die man an den eigentlichen Veranstaltungsort kommt. Durch einen Seiteneingang mit einer normalen Tür erhalten auch wir Zutritt. Die offizielle Eröffnung der Yes!Con findet in einem großen Saal statt, in dem die Sitzreihen teilweise nur über Treppen zu erreichen sind. Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als mit dem Rollstuhl in der ersten Reihe zu bleiben. Mit einer großen Entourage betritt wenig später Frau Schwesig, Ministerpräsidentin von Meck-Pom und selbst vor fünf Jahren an Brustkrebs erkrankt, den Saal. Da ich nur wenige Sitzplätze von ihr entfernt bin, begrüßt sie mich mit einem Händedruck – darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet, fange aber an den Vorteil meines Rollstuhls zu erkennen. Ohne ihn, hätte ich sicher nicht in der ersten Reihe gesessen, da diese meist für die Prominenz reserviert ist.
Der Tag bringt viele Begegnungen mit netten Menschen, mit denen ich bereits über die sozialen Medien in Kontakt bin. Teilweise werde ich sogar angesprochen, da ich erkannt werde, wie zum Beispiel am Stand von Look Good feel better der DKMS, bei denen ich mein Schminkseminar gemacht habe. Ein schönes Gefühl und ich fühle mich auf dieser Veranstaltung irgendwie heimisch, da hier alle mit dem Thema Krebs zu tun haben. Betroffene und Angehörige, Experten aus der Medizin und Forschung sowie Vereine und gemeinnützige Organisationen. Es gibt spannende Paneldiskussionen mit Prominenten wie Oli P. und seiner Frau, Mirja du Mont, Manuela Schwesig, Elena Semechin (Paralympics-Schwimmerin) und Patrice Aminati. Sie alle sind selbst von Krebs betroffen und die Geschichten sehr traurig. Aber alle strahlen diese Hoffnung aus, diese Stärke, sich vom Krebs nicht unterkriegen zu lassen – absolut bewundernswert. Sie tragen das Thema Krebs durch ihre Bekanntheit in die Öffentlichkeit, denn Krebs braucht Kommunikation. Mir zeigt es einmal mehr, dass zwar jeder mit seinem Schicksal allein ist, aber es ganz viele Menschen gibt, die es trifft. Wir sind damit nicht allein.
Der erste Tag endet mit einer Gala-Abendveranstaltung, dem Felix Burda Award, für den ich zwei Freitickets im Vorfeld gewonnen habe. Felix Burda selbst ist an Darmkrebs verstorben und seine Eltern gründeten nach seinem Tod eine Stiftung, die sich für die Prävention von Darmkrebs einsetzt. Mit dem Award werden Projekte aus Wissenschaft und Forschung geehrt, aber auch Einzelpersonen. Der Dresscode ist Cocktail, also ziehen wir uns dementsprechend schick an. Auch darüber habe ich mir im Vorfeld wieder viele Gedanken gemacht, da Vieles mit einem Rollstuhl und Krücken einfach nicht geht, zum Beispiel Pumps. Also trage ich einen schwarzen Jumpsuit und pimpe ihn mit silbernen Accessoires auf. Die Veranstaltung findet ebenfalls im Gasometer statt. Es ist viel Prominenz vor Ort – Ruth Moschner, Elena Uhlig, Kathi Hummels, Boss Hoss, Mousse T., Herr Kubicki, Regina Halmich, Susan Sideropoulos und einige andere bekannte Gesichter. Durch einen Zufall dürfen wir über den roten Teppich laufen, direkt vor mir Alec Voelkel von Boss Hoss und ich frage ihn nach einem gemeinsamen Foto, dass ich prompt bekomme. Mit uns gemeinsam sind noch andere Patientinnen, die wir tagsüber kennengelernt haben, auf der Veranstaltung. Aber ich bin die Einzige, ohne Haare. Dadurch falle ich natürlich auf und erhasche mir wieder einen Platz in der vordersten Reihe. Nach dem offiziellen Teil gibt es noch ein Get-Together in der fünfzehnten Etage des Gasometers. Von dort hat man einen grandiosen Rundumblick über Berlin, eine tolle Location. Es wird Fingerfood gereicht und wir haben noch ein paar nette Gespräche, bevor wir müde und ausgepowert ins Bett „fallen“.
Beim Frühstück treffen wir auf einige Teilnehmer der Yes!Con, die man am Armbändchen erkennt und man sich nett grüßt. Es sind ganz offensichtlich ebenfalls Patienten, das verbindet uns. Da es der Tag unserer Heimreise ist, fahren wir mit unserem eigenen Auto zur Location. Wir finden eine Tiefgarage in unmittelbarer Nähe in einem Gewerbegebäude, der Empfang ist nicht besetzt, aber die Zufahrt problemlos möglich. Es ist Samstag und somit gibt es auch ausreichend verfügbare Parkplätze. Das freut uns, aber die nächste Hürde zum Thema barrierefrei stand unmittelbar bevor. Man kann die Garage nur über einen Treppenaufgang verlassen. Na prima – Treppen sind mein absoluter Endgegner. Es half nichts, ich musste da durch und stieg somit knapp vierzig Stufen, mit der linken Hand am Geländer festgekrallt und rechts auf der wackeligen Krücke stehend nach oben. Ganz außer Atem und auch wenig stolz kam ich an der Erdoberfläche, am Ausgang der Parkgarage, an. Carsten folgte mir mit dem Rolli. Wir schlenderten noch einmal über die Veranstaltung, führten noch ein paar nette Gespräche, verfolgten ein Panel zum Thema „Neue Behandlungen bei Brustkrebs“ und traten gegen Mittag die Heimreise an, da wir nicht so spät zu Hause ankommen wollten. Auf halber Strecke gab´s einen Zwischenstopp mit einer Kaffeepause und an einem Bratwurststand nahmen wir noch unser Abendessen mit. Nach insgesamt sieben Stunden erreichten wir unser trautes Heim. Im Gepäck hatten wir leckere Bratwürste sowie viele Eindrücke und Erlebnisse. Die zwei Tage waren sehr intensiv und anstrengend, aber dieser Tapetenwechsel hat richtig gutgetan.
Mein Fazit – ich komme im nächsten Jahr wieder! Es ist nicht nur eine Veranstaltung, es ist ein Treffen einer riesigen Krebscommunity. ABER am Thema barrierefrei müssten auch die Veranstalter noch arbeiten, auch wenn nur zwei Rollifahrer inklusive mir daran teilgenommen haben.
Und der Sonntag? Ein Ruhetag auf der heimischen Terrasse. Eine Challenge gab es noch für mich – ich bin die Treppe im Haus mit meinen Krücken nach unten und auch nach oben gelaufen. Routiniert? Auf gar keinen Fall. Ich bin froh, wenn ich keine Treppen steigen muss und werde es auch weiterhin versuchen zu vermeiden bis ich die Krücken zur Seite legen kann.