Erster Friseurbesuch
Zehn Monate ist es her, seitdem ich das letzte Mal beim Friseur gewesen bin. Ich hätte mir nie vorstellen können, wie sehr man sich über so etwas freuen kann. Aber nach mehr als sechs Monaten mit unfreiwilliger Glatze ist das etwas ganz Besonderes. Zu sehen, wie der Körper wieder funktioniert und die eigenen Haare wieder wachsen. Zurück in die Normalität. Wieder eine von achtzig Millionen zu sein. Persönlich fand ich die Glatze aber nicht schlimm. Die Chemotherapie beeinträchtigt das Zellwachstum schnell wachsender Zellen – so auch das Wachstum der Haare. Sie sterben buchstäblich ab, bevor sie überhaupt den Weg durch die Haut antreten können. Meine eigene Körperbehaarung war noch nie besonders üppig, aber wenn ich mir vorstelle, dass mein Mann mit seiner starken Behaarung so einen Komplettausfall erleben müsste – das wäre mental für ihn sicher auch sehr schwierig.
Samstagmorgen, wir frühstücken noch ganz entspannt mit unserer Enkeltochter und dann mache ich mich zu Fuss auf den Weg zum Friseur. Wir sind in der glücklichen Lage an unserem Wohnort in nur zehn Minuten Entfernung ein Haarstudio zu haben. Und ich bin ein wenig aufgeregt. Meine Haare sind noch sehr kurz, aber dennoch müssen die Konturen in Form gebracht werden. Moni rasiert an den Seiten und im Nacken die ersten Fusseln weg. Am Oberkopf gibt es noch nichts zu schneiden. Es gefällt mir richtig gut, ich fühle mich wohl und mein Entschluss steht fest – ich werde meine Haare in der nächsten Zeit sehr kurz tragen. Mit meinen ständigen Hitzeattacken und dem Schweiß auf der Kopfhaut macht es keinen Sinn die Haare länger zu tragen. Ich habe zwar in den letzten Tagen das Gefühl, dass sich die Haare etwas kräuseln und die sogenannten Chemolocken hervortreten. Aber bei den meisten verschwinden die auch ganz schnell wieder. Ich will mir im Moment diese nervige Übergangszeit beim Wachsenlassen der Haare einfach nicht antun. Unzählige Bad-Hair-Days habe ich schon hinter mir und habe jetzt keine Lust darauf. Ich habe in den letzten Monaten die pflegeleichte Haarpracht schätzen gelernt. Selbst die letzte Frisur vor meinem Totalausfall gefällt mir nicht mehr. Wenn ich mir Fotos anschaue, weiß ich, was ich nicht mehr möchte. Vielleicht ist es aber auch das Rebellische in mir, das durch die ganze Therapie irgendwie geweckt wurde. Ich will nicht zurück in alte Muster und Strukturen. Das Leben nach dem Krebs ist und wird ein anderes als vor der Krebsdiagnose. Es ist die Zeit für einen Neuanfang – mit der Frisur und mit einigen Teilen in meinem Leben.

